Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
an, und ihm schwante, dass vermutlich stimmte, was Lodesh gesagt hatte. Alissa hatte sich auf subtile Weise verändert, seit sie gelernt hatte, sich in einen Raku zu verwandeln: Sie war reservierter und weniger geneigt, die Augenblicke auszunutzen, in denen sie ungestört waren. Er hatte das darauf geschoben, dass die Erkenntnis, eine Meisterin zu sein, ein Schock für sie gewesen sein musste und dass sie nun versuchte, ihrem neuen Status gerecht zu werden. Doch nun sah er, wie sie ihm schöne Augen machte, und musste das neu überdenken. »Wie lange wisst ihr es schon?«, hörte er sich fragen. Bei den Wölfen, sie mussten ihn für einen Dummkopf halten.
»Lange vor deiner Geburt«, sagte Lodesh, und Strell biss die Zähne zusammen. Er konnte nicht vergessen, dass Lodesh Alissa in der Vergangenheit gefangen und sie beinahe gezwungen hatte, viele Lebensspannen dort zu leben. Lodesh und Alissa mochten unter den Euthymienbäumen getanzt haben, bevor Strells Urgroßvater auf die Welt gekommen war, doch aus Alissas Perspektive war es anders herum gewesen, und darauf kam es schließlich an.
»Connen-Neute hat es herausgefunden, als er seinen Geist huckepack mit ihrem verbunden hat«, fuhr Lodesh fort. »Talo-Toecan weiß es nicht.«
Alissa schniefte. »Er darf es nicht erfahren«, sagte sie flehentlich und riss damit Strells Aufmerksamkeit wieder an sich. »Er wird Alissa zwingen, mich zu zerstören. Und sie hat mir versprochen, dass sie das nicht tun wird.«
Strell stieß zittrig den Atem aus. Das ist immer noch sie, dachte er, doch er fand den Gedanken, dass sie mal das eine, mal das andere sein konnte, noch beängstigender als die Vorstellung, sie könnte vollständig verwildern. Er streckte die Hand aus, zögerte, um sich zu vergewissern, dass sie seine Berührung dulden würde, und hob dann ihr Kinn an, um ihr Gesicht im schwachen Lichtschein von Connen-Neutes Bann zu betrachten. Verwundert forschte er in ihrem Gesicht. Sie müssen sich irren, dachte er. Alissa mochte ein zweites Bewusstsein haben, aber sie war immer noch sie selbst. Warum hatte sie ihm nichts gesagt? Fürchtete sie, er könnte sie hassen? »Alissa?«, fragte er und fühlte sich elend.
»Nein«, sagte Connen-Neute. »Das ist Bestie.«
Strell zwang sich, die Hand sinken zu lassen und einen Schritt zurückzutreten. Er forschte in ihren langsam blinzelnden Augen nach einem Unterschied. Abgesehen von ihrer Aussprache fand er keinen. »Du bist immer noch Alissa«, sagte er und wandte sich an Connen-Neute und Lodesh. »Das ist trotzdem Alissa.«
Connen-Neute schüttelte den Kopf. »Nur äußerlich. Der Geist, der sie belebt, ist Bestie.«
Der letzte Rest von Strells Angst verflog. »Nein. Ich habe den Unterschied gesehen, wenn Talo-Toecans Geist sie belebt hat. Das ist immer noch Alissa.«
»Bin ich nicht«, sagte Alissa und ergriff Strells Hand.
Bereitwillig trat er näher, um sie zu stützen. Sie drückte fest seine Hand, und er blickte überrascht auf und sah einen warmen, beinahe lüsternen Ausdruck in ihren Augen schimmern. Sein Herz pochte, und eine heftige Reaktion durchfuhr seinen ganzen Körper. Zwar hatte Strell schon früher solche Blicke auf sich gerichtet gesehen, aber unter diesen Umständen kam das doch etwas unerwartet. »Äh, nein«, sagte er sanft, ließ sie aber nicht los. Er konnte das jetzt nicht, während Lodesh so nah bei ihnen stand. »Du musst ins Bett gehen, damit die anderen es nicht herausfinden.«
»Ich möchte lieber bei dir bleiben«, sagte sie und zog an ihm, so dass er das Gleichgewicht verlor und fast auf sie fiel.
Ihre Hände schlangen sich um seinen Nacken. Lodesh war beinahe grün vor Eifersucht, und Strell empfand glühende Befriedigung, obwohl er sich sogleich von ihr löste. »Bitte, Alissa«, sagte Strell und hielt sacht ihre Handgelenke fest. »Es ist wichtig, dass niemand sonst dich sieht. Sie werden dich nicht verstehen, wie ich es tue. Ich …« Er warf einen Blick auf Lodesh, verärgert und froh zugleich, dass sein Rivale hier war und zuhörte. »Ich liebe dich, Alissa«, sagte er und wusste, dass er dabei rot wurde.
»Selbst mit einer Bestie in deinem Geist. Vergiss das nicht, wenn du wieder aufwachst, ja? Bitte?«
Alissa stieß langsam den Atem aus und gab den Versuch auf, sich seinem Griff zu entwinden. »Sie halten sich für so klug, aber sie vergessen, dass sie den Wind sehen können.« Sie zog einen Schmollmund und ließ sich bereitwillig von Strell über den Sand zurück in die dunkle
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