Alissa 4 - Die letzte Wahrheit
Hütte führen.
Da Strell wusste, dass sie lieber in einem Sessel als auf einem Bett schlief, zog er die Decken vom Bett und häufte sie auf den geflochtenen Sessel in der Hütte. Er half ihr, sich hinzusetzen, und funkelte Lodesh böse an, als der ihm in den Weg kam. »Ich mache das«, sagte er finster, kniete sich hin, um die Decken zurechtzuzupfen, und deckte sie mit sanften Bewegungen zu. Das weckte Erinnerungen, die so schmerzlich waren, dass er kurz die Augen schließen musste. Hieran würde sie sich vermutlich auch nicht erinnern.
»Wirst du jetzt hierbleiben?«, fragte Lodesh von der Tür aus, und sie runzelte die Stirn.
»Bitte, Alissa?«, fügte Strell hinzu, während er sich erhob, und ihre Stirn glättete sich. Sie seufzte zustimmend, und er ließ den Vorhang vor dem Eingang mit gemischten Gefühlen hinter sich fallen.
»Gehen wir zurück«, sagte der Stadtvogt knapp.
Strells Gedanken überschlugen sich, während er Connen-Neutes hüpfender Lichtkugel folgte. Ihm war übel. Alissa hatte ihr wildes Bewusstsein behalten? Warum hatte er das nicht längst bemerkt? Er warf einen hastigen Blick zurück zum Strand. Doch sie war immer noch Alissa. Obwohl sie ihre Gefühle wesentlich ungehemmter zeigte – beunruhigend ungehemmt, um genau zu sein – und obgleich ihre Stimme so verführerisch geklungen hatte wie der Wüstenwind, war sie immer noch Alissa. Es war nicht seine Schuld, dass Lodesh und Connen-Neute die Leidenschaft nie bemerkt hatten, die sie hinter ihrem verlegenen Stammeln und ihrem hitzigen Temperament verbarg. Er hatte gewusst, dass sie da war, seit er Alissa mit verrenktem Knöchel in einer Schlucht gefunden hatte. Jedes Mal, wenn er zu ihrer beider Überraschung ihr Begehren ans Licht zog, war ihm das eine Freude.
»Seid ihr sicher, dass das nicht Alissa war?«, fragte er, denn er glaubte immer noch, sie sei vielleicht nur betrunken.
Connen-Neute erschauerte neben ihm. »Ja. Man kann es sehen, wenn sie fliegt. Sie fliegt wie eine wilde Bestie. Ohne jede Angst. Und Bestie hört sich in meinem Kopf anders an.«
Tief in Gedanken versunken lief Strell den beiden nach. Er würde morgen mit Alissa frühstücken. Sich vergewissern, dass er das alles richtig verstanden hatte. Sie musste wissen, dass sich dadurch nichts änderte und er sie nur umso mehr liebte. Die ganze Situation roch nach Ärger, der auf einem zu heißen Feuer kochte. Und er wusste nicht, ob er noch eine ihrer trotzigen Rebellionen überleben würde.
Vielleicht … Er zupfte an seinem kurzen Bart. Vielleicht war es Zeit, dem gefährlichen Eintopf sein eigenes Gewürz hinzuzufügen? Ein Gefühl teuflischen Wagemuts überkam ihn, durchsetzt mit solider Zuversicht. Immerhin war er gut vorbereitet, und es würde nie ein besserer Zeitpunkt kommen. Da ihre neuen Verwandten offenbar eher enttäuscht von ihr waren, hatte Alissa nichts zu verlieren, wenn sie ja sagte.
Ein Lächeln breitete sich auf Strells Gesicht aus, und er merkte, wie seine Schritte schwungvoller wurden. Er war sich nicht zu fein, die Situation zu seinem Vorteil zu nutzen. Wenn Lodesh nicht klug genug war, selbst Gewinn daraus zu schlagen, dann kannte er Alissa im Grunde gar nicht.
Die ersten Takte eines Tanzlieds regten sich in ihm, und seine Füße bewegten sich in dessen unhörbarem Rhythmus. Er überholte Lodesh und Connen-Neute und scherte sich nicht darum, dass sie Blicke wechselten und sich vermutlich über diesen Stimmungsumschwung wunderten. Er würde die Meister bis zum Morgengrauen tanzen lassen. Sie würden bis weit nach Mittag schlafen. Und morgen Abend würde es zu spät sein.
Mit einem schönen Abendessen würde es anfangen, dachte er und konnte den Sonnenaufgang kaum mehr erwarten.
– 22 –
D ie Schnur, die eine Ecke seines Zeltes hielt, gab ein leises »Twong« von sich, als Strell daran zupfte, und er runzelte die Stirn. »Zu locker«, murmelte er. Es war eine Ewigkeit vergangen, seit er zum letzten Mal ein Zelt aufgebaut hatte, doch das war es nicht, was ihm Schwierigkeiten bereitete. Der Sand war sehr lose. Nervös zog er den Pfosten wieder heraus. Dass der Sand ein Strand war und der flache Horizont aus Wasser, konnte noch geduldet werden. Ein lose gespanntes Zelt jedoch nicht.
Er hämmerte den Pfosten in einem spitzeren Winkel wieder in den Boden. Er überprüfte die Schnur und stellte fest, dass es so gehen würde. Immerhin würde sie ihn nicht danach beurteilen, wie gut er ein Zelt aufbauen konnte. Eine Tiefländerin würde
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