All unsere Traeume - Roman
was zu tun sei, wenn das eigene Kind zum ersten Mal im Leben seinen Vater traf. Wie nicht anders zu erwarten, war dort nicht viel Rat zu holen gewesen. Zum Thema Vater fand sie nur einen Absatz, in dem vorgeschlagen wurde, sie solle Muttermilch abpumpen, damit Daddy nachts Fläschchen geben konnte und Mummy ein bisschen mehr Schlaf bekam.
Romily erinnerte sich noch an das nächtliche Stillen, allein in ihrer alten Zweizimmerwohnung. Sie war mit Posie neben sich zu Bett gegangen, damit sie das Baby nachts anlegen konnte, ohne dass sie beide richtig aufwachten. In manchen Nächten, wenn Posie nicht einschlafen wollte, ging Romily durch die ganze Wohnung, vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer ins Badezimmer und wieder ins Schlafzimmer, und klopfte Posie auf den Po, Wiegenlieder aus lateinischen Namen vor sich hin sum mend, die sie vor langer Zeit auswendig gelernt hatte. Ephemeroptera. Embiidina.
Das waren die einsamsten Zeiten: vier Uhr morgens, wenn der Rest der Welt schlief, und vier Uhr nachmittags, wenn der Rest der Welt auf der Arbeit war. Die Zeiten, wenn man unbedingt wollte, dass die Stunden verstrichen, damit man nach dem Telefon greifen und mit jemandem reden konnte, der menschliche Sprache verstand. Die Zeiten, wenn man wusste, dass etwas nicht mit einem stimmte, weil man wollte, dass das hier vorüberging, wo doch jeder wusste, dass Mütter und Babys eine Welt zu zweit bildeten und vollkommen glücklich miteinander waren. Denn selbst Gemeine Mistkäfer konnten ihre Jungen ernähren und beschützen, ohne sich gelangweilt und verzweifelt und einsam zu fühlen.
Posie stellte beide Füße auf das Seil, und Romily setzte sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf die Bank. Aus dem Augenwinkel erblickte sie einen blonden Mann in einer mattgrünen Jacke.
»Schau mal!«, rief Posie wieder, und Romily sagte: »Okay«, aber sie hörte nicht auf, Jarvis zu beobachten, der außerhalb des Zauns stand und seine Tochter beobachtete. Er hatte eine Hand am Tor, öffnete es jedoch nicht. Seiner Miene war nicht zu entnehmen, ob er den Spielplatz betreten oder wieder kehrtmachen würde.
»Schau, freihändig! Huch!«
Instinktiv schoss Romily ein weiteres Mal von der Bank hoch, doch Posie fing sich wieder. Romily fühlte mehr, als sie es sah, dass Jarvis sich neben sie auf die Bank setzte.
»Wie gehst du mit der ewigen Angst um?«, fragte er sie leise.
»Schlecht.«
Auf dem Klettergerüst schob Posie die Füße in einer Richtung an dem Seil entlang und ihre Hände in der anderen Richtung an der Mittelstange, sodass sich der Kegel um die eigene Achse drehte. Ihre ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, ihn so schnell wie möglich zu drehen. Ihre Haare wirbelten um ihr Gesicht, und ihre Jacke stand halb offen.
»Sie ist größer als auf dem Bild«, stellte Jarvis fest.
»Das kommt vor.«
»Wann war ihr Geburtstag?«
»Siebter Februar.«
Er gab ein Ächzen von sich. Sie beobachteten beide Posie, die entschieden hatte, dass sich das Gestell so schnell drehte, wie es eben ging, und nun herunterkletterte und absprang. Sie landete mit einem glücklichen Plumps sicher auf beiden Beinen und lief zu den Schaukeln.
»Sie ist mutig«, stellte Jarvis fest.
»Das ist recht neu. Mit dem Laufen hat sie zwar früh angefangen, aber sie war in physischen Dingen ängstlich, bis sie in die Schule kam. Vor allem ist sie eine Leseratte. Sie hat unglaublich viel Fantasie.«
»Cleveres Mädchen.«
»Manchmal erschreckend clever.«
»Was hast du ihr die ganzen Jahre über erzählt?«
»Dass ich nicht wusste, wo ihr Vater war.«
»Sonst nichts?«
»Nicht viel.«
»Nett von dir.« Sein Blick war finster.
»Ich wollte nicht, dass sie damit rechnet, dass du auftauchst. Ich wollte nicht, dass sie enttäuscht ist, wenn du es nicht tust.«
»Das ist wirklich ein starkes Stück.«
»Wir kommen gut allein klar.«
»Ich habe ein Leben, Romily. Ich habe nicht damit gerechnet, das hier vor den Latz geknallt zu bekommen. Wenn ich acht Jahre lang nicht da war, dann ist das deine Schuld. Nicht meine.«
Sie zog eine beleidigte Schnute. Er verschränkte die Arme.
»Was hast du ihr wegen heute gesagt?«, fragte er.
»Nichts. Ehrlich gesagt, war ich mir nicht sicher, ob du kommen würdest.«
Daraufhin warf er ihr einen fragenden Blick zu. »Du hast wirklich keine sonderlich hohe Meinung von mir, nicht wahr?«
»Ich habe gar keine Meinung. Du musst dich nicht auf die Sache einlassen, wenn du das nicht willst. Je weniger ich darüber nachdenke,
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