Allan Quatermain
Salat, ähnlich unserem Kopfsalat, dunkles Brot und Rotwein, der aus einem Schlauch in Hornbecher geschenkt wurde. Dieser Wein war mild und hervorragend; er ähnelte im Geschmack ein wenig dem Burgunder. Nach zwanzig Minuten erhoben wir uns von jener gastlichen Tafel und fühlten uns wie neugeboren. Nach allem, was wir durchgemacht hatten, brauchten wir vor allem zwei Dinge: Nahrung und Ruhe. Die Nahrung allein war für uns schon eine herrliche Wohltat. Zwei Mädchen, die den gleichen Liebreiz in ihren Gesichtszügen hatten wie die Frau, die wir als erste gesehen hatten, bedienten uns während des Essens; sie machten es auf eine sehr angenehme Weise. Auch sie waren auf die gleiche Art gekleidet, wie wir es schon bei den anderen gesehen hatten: ein weißer Leinenunterrock, der bis zum Knie reichte, und darüber das togaähnliche Gewand aus braunem Tuch, das die rechte Brust und den rechten Arm unbedeckt ließ. Später erfuhr ich, daß es sich hierbei um die nationale Tracht handelte. Sie richtete sich nach strengen Regeln, variierte jedoch in einem gewissen Rahmen. Wenn zum Beispiel der Unterrock weiß war, bedeutete das, daß die Trägerin unverheiratet war. War er weiß mit einem purpurfarbenen Streifen längs des Saumes, dann war sie verheiratet und war erste oder gesetzliche Frau. War er weiß mit einem wellenförmigen Purpurstreifen, dann war sie zweite oder Nebenfrau. War der Streifen schwarz, dann bedeutete das, daß es sich um eine Witwe handelte. Auch die Toga, oder der ›Kaf‹, wie sie es nennen, kam in zahlreichen Farben vor; je nach dem sozialen Rang gingen die Farbschattierungen vom reinsten Weiß bis zum tiefsten Braun; die Enden waren auf die verschiedensten Arten mit Stickereien geschmückt. Das gleiche traf auch auf die ›Hemden‹ oder besser, Kittel zu, die die Männer trugen; sie variierten in Material und Farbe. Die Röcke jedoch waren immer die gleichen; sie unterschieden sich höchstens in der Qualität voneinander. Eines jedoch trug jeder im Lande, gleich ob Mann oder Frau, gewissermaßen als nationales Signum: das dicke Goldband um den rechten Oberarm und den linken Unterschenkel. Leute von sehr hohem Rang trugen auch noch einen goldenen Ring um den Hals. Unser Führer zum Beispiel gehörte zu dieser Gruppe.
Als wir das Mahl beendet hatten, verbeugte sich unser ehrwürdiger Begleiter, der die ganze Zeit neben uns gestanden und uns neugierig betrachtet hatte, insbesondere unsere Gewehre, die er mit kaum verhohlener Furcht bestaunte, soweit das sein Stolz eben zuließ, vor Good, den er aufgrund seiner prächtigen Staffage offensichtlich für den Anführer unserer Gruppe hielt, und dann geleitete er uns wieder zur Tür hinaus und führte uns zum Fuß der großen Treppe. Dort verweilten wir einen Augenblick, um die beiden gewaltigen, jeweils aus einem einzigen Block reinen schwarzen Marmors gehauenen Löwen zu bewundern, die hoch aufgerichtet am Ende der beiden Balustraden des Treppenaufgangs standen. Diese Löwen waren von hervorragender Ausführung. Auch sie waren das Werk von Rademas, dem berühmten Prinzen, der die Treppe erbaut hatte, und der zweifelsohne, den zahlreichen wunderschönen Zeugnissen seiner Kunst nach zu urteilen, die wir später noch sehen sollten, einer der hervorragendsten Bildhauer war, die jemals auf dieser Erde gelebt haben.
Danach stiegen wir mit einem fast ehrfürchtigen Gefühl die gewaltige Treppe hinauf, jenes Meisterwerk, das, für die Unendlichkeit gebaut, ohne Zweifel noch in Tausenden von Jahren von den nachfolgenden Generationen bewundert werden wird, wenn es nicht vorher einem Erdbeben zum Opfer fallen sollte. Selbst Umslopogaas, dem es in der Regel gegen die Ehre ging, unverhüllt Verblüffung und Erstaunen zu zeigen (er fand, das sei eines Kriegers nicht würdig), war buchstäblich hingerissen und fragte mich, ob die Brücke ›das Werk von Menschen oder von Teufeln‹ sei, womit er auf seine Weise auf alles ihm übernatürlich Erscheinende anzuspielen pflegte. Einzig Alphonse schien völlig unbeeindruckt. Die wuchtige Pracht des Bauwerks schien den kleinen Franzosen eher unangenehm zu berühren. Er gestand zwar, daß alles ›très magnifique‹ sei, fand aber gleichzeitig, daß es ›triste, très triste‹ wirkte und daß das Bauwerk weit eleganter und schöner wäre, wenn man die Balustraden vergoldete .
Bald hatten wir die hundertfünfundzwanzig Stufen der ersten Flucht hinter uns gebracht und erreichten erschöpft die breite Plattform, die sie mit
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