Alle Familien sind verkorkst
poliert genug. »Ich hasse es, arm zu sein. Wirklich. Und es ärgert mich furchtbar, dass ich nicht einfach mit Ted Schluss machen kann.«
»Das ist so ziemlich das Romantischste, was ich seit Monaten gehört habe.«
Nickie sagte: »Was mich an dieser ganzen AIDS-Geschichte besonders nervt, ist, dass Ted mich verlassen könnte. Stellen Sie sich das mal vor: Ich hänge an einem Menschen, der mich einfach so abservieren würde.« Sie nippte an ihrem Kaffee. »Vielleicht tu ich ihm auch unrecht. Es ist mir egal, ob ich sterbe. Und diese HIV-Medikamentencocktails bewirken, dass man Fettablagerungen an den seltsamsten Stellen bekommt - am Ende hab ich womöglich sechs Titten.«
Janet fragte: »Reden Sie auch so, wenn Ted dabei ist?« »Eigentlich schon.«
Janet schaute aus dem Fenster auf den gleißend hellen Parkplatz. »Manchmal frage ich mich, ob es zwischen mir und Ted vielleicht etwas anders gelaufen wäre, wenn ich ... direkter gewesen wäre, so wie Sie und Shw.«
»Sie? Vielleicht. Aber vermutlich nicht. Ted sagt, Sie beide hätten sich nie gestritten. Er meinte, Sie hätten immer nur vor sich hin ›geköchelt ‹ . So hat er sich ausgedrückt - geköchelt.«
»Stimmt. Das ist ein unattraktiver Zug. Heute tu ich das nicht mehr.«
Nickie sagte: »Ich versuch mal lieber, Gwendolyn zurückzuholen. Was wir nicht alles für die Familie tun - wie verworren die Beziehung auch sein mag.« Sie stand auf, drehte sich um und sagte: »He, jetzt sehen Sie sich mal diese beiden rattenscharfen Piloten an, die gerade den Plattenweg hochkommen.«
»Sie haben wohl keinen Knopf zum Ausstellen, was, Nickie?« »Nein.«
Gerade als Nickie zur Damentoilette neben der Kasse hinüberging, traten die Piloten umwerfend gutaussehend und sonnengebräunt durch die Tür. Sie tauschte ein Lächeln mit dem weniger Gebräunten, der sie daraufhin um die Taille packte und ihr ein Stück Isolierband auf den Mund klatschte. Er brüllte: »Achtung - alle mal herhören! Wir haben gerade unsere erste Geisel genommen. Wenn einer von euch auch nur einen Mucks macht, pusten wir Malibu Barbie hier den Schädel weg. Keine Handys, keine Pager, kein Notruf gar nichts.«
Der andere Pilot hob ein Gewehr, spannte den Abzug und jagte eine Tortenschachtel in die Luft. Der Schuss streifte Kevins Arm. Ein Blizzard aus Blut und Frühstücksresten zerstob auf dem Tresen und dem Fußboden. Gäste schrien; der Pilot zerschoss ein Fenster; zwei Menschen auf dem Parkplatz duckten sich und suchten Deckung hinter einer Hecke. Der weniger sonnengebräunte Pilot brüllte: »Schnauze, verdammt noch mal. Wir sind geschäftlich hier, und es ist uns ernst. Mein Freund Todd wird herumgehen und euch den Schmuck abnehmen. Ihr Franzosen steht doch alle auf Schmuck, und keinen Disney-Scheiß - ich wiederhole, keinen Disney-Scbeiß - ne pas de merde a la Disney. Wenn mir einer mit irgendwelchen bescheuerten König-der-Löwen-Broschen oder Die-kleine-Meerjungfrau-Armbändern kommt, hackt Todd ihm zur Strafe einen Zeh ab.«
Die Franzosen schnatterten miteinander; der Pilot schoss einem von ihnen, einem Mann mittleren Alters, mitten in die Brust. Es wurde still im Raum. Janet sah, wie der metallene Gewehrlauf Nickies rechtes Ohr berührte; ihr fiel ein, wie ihr Vater, als sie klein war, so getan hatte, als würde er Vierteldollarmünzen aus ihrem Ohr ziehen. Ihr Kopf fühlte sich an wie ein einziger Wespenstich.
Unser Leben ist vor allem darauf ausgerichtet, die Pfeile abzulenken, die die Gesetze der Wahrscheinlichkeit auf uns abschießen. Sobald wir dazu in der Lage sind, schirmen wir uns von willkürlichen Aktionen des Hasses und der Zerstörung ab. Das ist überall zu spüren - in den Wohnvierteln, die wir bauen, den Mauern zwischen unseren Häusern, dem Misstrauen, mit dem wir dem Unbekannten begegnen. Einer von sechs Millionen Menschen wird vom Blitz getroffen werden. Fünfzehn von hundert Menschen werden eine klinische Depression durchmachen. Eine von sechzehn Frauen wird Brustkrebs bekommen. Eins von 30000 Kindern wird mit einer schweren Gliedmaßenfehlbildung zur Welt kommen. Einer von fünf Amerikanern wird einem brutalen Verbrechen zum Opfer fallen. Ein Tag, an dem nichts Schlimmes passiert, ist ein Wunder, ein Tag, an dem von all den möglichen Unglücksfällen keiner eingetreten ist. Ein eintöniger Tag ist ein Triumph des menschlichen Geistes, und Langeweile ist ein beispielloser Luxus in der Geschichte unserer Spezies.
Janet stand von ihrer Bank auf und ging zu
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