Alle Familien sind verkorkst
durchaus gelegen kam - unmittelbare, befriedigende Ergebnisse: eine frisch gestrichene Wand; eine Tür, die nicht mehr klemmte; eine korrekt angeschlossene Stereoanlage.
Eines Abends war Wade, nachdem er zwölf Stunden damit verbracht hatte, einen kleinen Schreibtisch, den Beth auf einem Garagen-Flohmarkt gefunden hatte, abzubeizen und neu zu lackieren, so energiegeladen, als sei er aus einem langen, süßen Schlaf erwacht. Seine Energie war ansteckend, und Beth wurde im Bett, wo sie sonst ausgesprochen ernst, wenn nicht gar traurig war, verspielt und neckisch.
»Du bist mein Superman, Wade.«
»Sag das noch mal.«
»Du bist mein gut aussehender, treu sorgender Superman.«
»Welche Superkräfte habe ich denn?«
»Sag dus mir. Angenommen, du könntest dir nur eine aussuchen, welche würdest du nehmen?«
Diese Frage brachte Wade ins Grübeln. Die Stärke von tausend Männern? Den Röntgenblick? Übermenschliche Abwehrkräfte, die ihm gestatten würden, durch die gesamten ungeklärten Abwässer Mexikos zu kraulen, ohne krank zu werden?
»Lass dir ruhig Zeit, Schatz.«
»Ich denke nach, Beth. Das ist eine ernste Frage. Ich will die richtige Antwort geben.« Eine Minute verging. »Wade?«
»Okay, ich weiß. Welche Fähigkeit ich mir aussuchen würde? Dass ich aus meinen Fingerspitzen Blitze schießen könnte - dicke, fette Blitze aus dem Schulfernsehen -, und wenn jemand von einem dieser Blitze getroffen würde, fiele er auf die Knie, und dann wäre er plötzlich unter Wasser, an dieser Stelle vor der Ostküste der Bahamas, wo einmal Millionen leuchtend blauer Fische auf mich zugeschwommen sind und mich in ihren Schwarm aufgenommen haben - und dann wieder flöge er mit einem Taubenschwarm zwischen Wolkenkratzern umher, in Manhattan, über dem World Trade Center, und dann - dann was? Dann würde er erblinden, und man würde ihn woanders hinbringen - er hätte Heimweh - mehr, als er in seinem ganzen Leben je gehabt hat - so sehr, dass er sich übergeben muss - und er würde allein mitten auf ... keine Ahnung ... einem abgeernteten Weizenfeld in Missouri zurückgelassen. Und dann könnte er wieder sehen, und von den Rändern des Feldes würden Menschen auf ihn zukommen - alle, die er kennt -, und sie hätten Schwarzwälder Kirschtorten in der Hand und brennende Tiki-Lampen und Ghettoblaster, die alle denselben Song spielen, und am Himmel gäbe es einen Sonnenuntergang wie in den Disney-World-Broschüren, und der Mensch, der von meinem Blitz getroffen wurde, wäre nie wieder allein oder einsam.«
Er und Beth liebten sich in jener Nacht, durch Latexmembranen an all den richtigen Stellen voneinander getrennt, den Speichel auf ein Minimum beschränkend, aber mit einer Innigkeit, die neu für ihre Beziehung war. Hinterher konnte Wade nicht schlafen, weil er die ganze Zeit an die Menschen denken musste, die an den Rändern seines eigenen Weizenfeldes in Missouri auftauchen würden, und er dachte an seine Familie - daran, wie verkorkst sie war - psychisch, physisch und emotional. Und dann dachte er an all die anderen Familien, die er kannte, und daran, dass sie ebenfalls verkorkst waren: Autismus, Lupus, Schizophrenie, Arthritis, Alkoholismus, zu viele Geheimnisse, unausgesprochene Dinge, falsche Entscheidungen, Geldprobleme ... die Liste war endlos. Niemand blieb verschont. Bei diesem Gedanken wurde ihm klar, dass sein vierzigster Geburtstag hinter ihm lag, dass er nicht mehr jung war und dass ihm das nichts ausmachte.
An der Tankstelle starrte Wade auf die Risse im Asphalt, der weich und zäh war wie ein Brownie. Ameisen krabbelten hinein und wieder heraus wie in einem verrückten Kunstfilm. Ich bin nicht wachsam genug; ich passe nicht gut genug auf. Verdammt, ich halte mein ganzes Leben lang unablässig die Augen offen, aber ich bin sicher, genau in dem Moment, in dem ich mich von diesem Fleckchen Teer abwende, wird sich die Erde öffnen - und wenn ich aufgepasst hätte, nur diese eine Sekunde, hätte ich den Kern dieses Planeten gesehen, flüssig und weiß -...
Ted trat Wade in den Hintern. »He, Lord Byron, du kannst ein andermal den sensiblen Poeten spielen. Wir müssen irgendwie unsern Arsch hier wegbekommen.«
Wade übergab sich. Schon wieder. Nicht mehr viel übrig, was noch hochkommen könnte. Was habe ich heute gegessen? Joghurt, eine Banane, Studentenfutter -...
»Herrgott noch mal, Wade -« Ted spritzte ihn mit einem Schlauch ab.
Wade drehte sich um und sah seinem Vater in das knallrote Gesicht. Bryan
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