Alle lieben Merry
zu. “Aber das hier ist völlig anders. Ich wollte nie an einen Job oder einen Ort gebunden sein. Lucy, du hast einmal gesagt, dass die Sache mit meiner Mutter mich immer noch belastet. Ich weiß jetzt, dass du recht hattest. Wenn es je einen Mann gibt, an dem mir wirklich etwas liegt, will ich, dass weder ein Job noch ein Ort oder irgendetwas anderes sich darauf auswirkt, ob ich mit ihm zusammen sein kann oder nicht. Ich will eine Beziehung, in der er und ich wichtiger sind als alles andere. Denn wenn man nicht frei ist für die Liebe, ist man nicht wirklich frei.”
“Hm. Jetzt beginnst du mir Angst zu machen.” Merry hörte das Knarren eines alten Schaukelstuhls und wie Lucy sich das Baby an die Schulter legte. “Ich glaube langsam, dass dieser Mann der Richtige für dich ist. Muss ich zu dir kommen und ihn einmal kritisch unter die Lupe nehmen?”
Merry lachte. “Genau das hat mein Vater auch gesagt. Ich kann es kaum erwarten, dass du Jack kennenlernst. Derzeit ist es allerdings noch zu früh. Aber jetzt genug von mir! Wie geht es Laurie? Du hast gesagt, dass du ein paar neue Bilder mailst.”
“Willst du
wirklich
noch mehr sehen? Gibt es tatsächlich noch jemanden, der bereit ist, sich weitere fünfhundert Babyfotos anzuschauen?”
“Hey, du redest von meinem Patenkind.” Sie plauderten und neckten sich noch eine Weile. Aber da es in Minnesota wirklich
sehr
früh war, beendete Merry das Gespräch bald. Dann saß sie da, immer noch lächelnd, und stellte sich ihre alte Freundin vor, wie sie ihr Baby im Arm wiegte. Lucy war früher ein extrem pedantischer Mensch gewesen, fanatisch ordnungsliebend und genau. Aber das war das Gute an alten Freunden – man kannte ihre Schwächen und sie kannten deine. Man musste einander nichts vormachen.
Lucy wusste sehr gut, dass sich Merry der Welt immer als flippiger, exzentrischer Mensch präsentiert hatte. Aber ihre lockere Art und das Schwirren von einem Job zum nächsten waren nicht das gewesen, wofür die meisten es gehalten hatten.
Merry blickte auf und sah Charlene in der Tür stehen. Sie trug ein Männer-T-Shirt von den Chicago Bears in XXXL, das beinahe bis zum Boden reichte. Trotz ihres sprießenden Busens sah sie mit ihren nackten Füßen, den verschlafenen Augen und dem zerzausten Haar ungeheuer jung und unschuldig aus.
“Du bist aber früh auf”, sagte Merry fröhlich. Aber sie bemerkte sofort, dass Charlene ihrem Blick auswich und ihre Finger knetete. Merry fiel die letzte Nacht ein – jener Teil der Nacht, bevor sie und Jack sich geliebt hatten, jener Teil, als er versucht hatte, ihr von einem Geheimnis zu erzählen, das Charlene vor ihr hatte.
“Ja, ich bin munter geworden, als das Telefon geläutet hat. Dann war ich hellwach. Du hast also ein Patenkind?”
“Ja, ein kleines Mädchen. Ein Baby. Ich habe dir von Lucy und der Kleinen schon einmal erzählt. Lucy war meine beste Schulfreundin.”
“Ich wusste nicht, dass das Baby dein Patenkind ist.”
Merry stand auf und holte die Cornflakes mit Mandeln aus dem Küchenschrank, die Charlene so gern mochte. Etwas in ihrer Stimme hatte Merry stutzig gemacht. “Ist das ein Problem?”, fragte sie besorgt.
“Ein Problem? Überhaupt nicht. Ich habe mir nur gedacht, dass du bestimmt wieder in ihrer Nähe wohnen möchtest. Wenn doch dein Patenkind und deine beste Freundin und alle anderen dort sind. Und überhaupt.”
Es war also wieder das alte Thema. “Der einzige Grund, weswegen ich mir vorstellen könnte, wieder dorthin zu ziehen, wäre, wenn
du
es willst. Was schön wäre. Aber solange du hier glücklich bist … In nächster Zeit will ich, dass mein Dad zu uns kommt, damit er dich kennenlernt. Für Lucy ist das Verreisen noch schwierig. Es ist einfach zu anstrengend mit einem Baby. Aber ich hoffe, dass sie später einmal kommt und die Kleine mitbringt, damit du sie siehst.”
“Klar.”
Merry entging die Skepsis in Charlies Stimme nicht. Der jugendliche Sarkasmus war schlecht zu überhören. Er tat weh. Aber nicht lange. Sie stellte die Packung mit den Cornflakes, eine Schüssel und die Milch auf den Tisch und legte Charlenes Serviette dazu. Etwas fehlte. Sie hatte den Löffel vergessen – aber man wurde eben nicht von heute auf morgen die perfekte Mom.
“Was steht heute nach der Schule auf dem Programm?”, fragte sie. “Irgendein Training habt ihr doch bestimmt. B-Ball wie Basketball, V-Ball wie Volleyball, M-Ball wie …? Wie hieß das noch mal?”
Charlene seufzte. “Merry,
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