Alle lieben Peter
wieder und fuhr auf sie los. Die Lokomotive machte eine schattenhaft schnelle Bewegung mit dem Kopf, worauf er in die Luft flog und sich zweimal überschlug. Er stand völlig verdutzt wieder auf und hatte gerade noch Zeit, sich durch einen Sprung in Sicherheit zu bringen. In der nächsten Sekunde brausten zwei Zentner Schweinefleisch mit gefletschten Hauern an ihm vorbei. Dann nahm die Lokomotive Peter aufs Korn, der mit eingeklemmtem Schwanz in die Wiese floh und in Sekundenschnelle zu einem Punkt zusammenschrumpfte. Die Sau beroch die Stelle, an der die Hunde gestanden hatten, und grub sie mit ihrer Scheibe um. Dann kroch sie unter dem Zaun durch, kam zu uns heran und rieb sich an unseren Knien. Anselm tatschte ihr auf den Rücken: »Na, Susanne?« Susanne roch an Zollo, der artig die Ohren nach hinten legte und auf jede Weise zu zeigen versuchte, daß er keinerlei bösartige Absichten habe. Dann trollte sie sich. Noch ihr Hinterteil mit dem kümmerlichen Ringelschwanz drückte vollkommene Beherrschung der Situation aus.
Erst nach einer ganzen Weile erschienen meine beiden. Sie waren ungeheuer artig, quetschten sich an meine Knie und warfen besorgte Blicke um die Ecke.
Anselm lachte: »Na, da seid ihr an die Unrechte gekommen, ihr Rowdys, was?« Er nahm die Ohren des kleinen Löwen und zerrte sie derb. Der Dicke reichte ihm eine Tatze, während Peterchen reserviert an seinem Hosenbein roch und dann Männchen vor ihm machte.
»Wollen Sie sich mal die Mühle ansehen?« fragte Anselm. Ich tat es. Mein Haupteindruck war, daß alles automatisch ging. Anselmus bestätigte das. »Den Rest macht Matthias«, erklärte er und grinste wieder mit jener Gaunerhaftigkeit, die, wie ich immer mehr fühlte, ein ganz und gar goldenes, weiches Männerherz verbarg. »Und ich passe so auf, daß alles in Ordnung geht.« Er haute mir auf die Schulter: »Man muß sich eben das Leben einrichten, so gut es geht.«
»Ich habe den Eindruck, daß Ihnen das gelungen ist«, erwiderte ich.
Dann machte ich einen langen Spaziergang mit den beiden, schrieb einen Brief an die Mama und einen an Frauchen und packte schließlich meinen Roman aus. Als ich das Papier auf den Tisch legte und den Füller daneben, hatte ich zum erstenmal seit den trügerischen Tagen in Waldenau das Gefühl: Es wird gehen, hier wird’s bestimmt gehen! Gleich fiel mir etwas ein, und ich schrieb in einem Ruck das letzte Kapitel, bis die Mannschaft vom Kirchgang zurückkam und Bratenduft das Haus durchwölkte. Wir aßen, bis wir nur noch stöhnten. Hinterher ging ich wieder in den Wald, Brombeeren pflücken. Am Abend feilte ich etwas am Roman, dann zog Anselmus mit mir in die Dorfkneipe, um mich dem Stammtisch vorzustellen. Am besten gefielen mir der bucklige Briefträger und der verwegen aussehende Filzer-Loisl, der sein Haus ganz oben am Hang hatte und voll lustiger Geschichten steckte. Beim Trinken behielt er das Federhütl auf. Die Hunde benahmen sich einigermaßen, und Anselm und ich gingen Arm in Arm heim. Ein schöner Abend. Schließlich fiel ich in mein Nußbaumbett und sagte laut in die Stille: »Kerl, geht’s dir gut! Du mußt dich ja schämen!«
Um acht, als wir drei erwachten und ich den Fenstervorhang zur Seite schob, stand draußen eine graue Wand: der erste Herbstnebel. Nach dem Frühstück brachte ich meinen Roman zur Post und wanderte dann so einfach ins Blaue hinein. Die große Nebelglocke, die über dem Tal hing, erleuchtete sich von innen her und wurde zu einer Alabasterschale. Dann begann es nach oben türkisblau und violett zu schimmern, und schließlich, mit einem Ruck, riß das Ganze auseinander, und die ineinandergekneteten dunklen Riesenschroffen des Dreitausenders ragten da oben in den seidigen Septemberhimmel.
Wir wanderten weiter bergab über die Forellenalm. Ich trank ein Glas Milch, Peterle machte drinnen im Haus bei Mizi, der Sennerin, Männchen, und Cocki brüllte die Kühe an. Die aber ließen sich keineswegs in die Flucht schlagen, sondern kamen mit gesenkten Hörnern auf ihn zu. Ich hatte mich auf einen Holzstapel gesetzt und sah mir dieses Theater an. Da flüchtete sich der Dicke auf meinen Schoß, und ich sah mich plötzlich von gehörnten Häuptern umzingelt, über deren Gedankeninhalt ich mir nicht ganz klar war. Unter anderem war ein junger Stier dabei, der einen recht unternehmungslustigen Eindruck machte. Aus seinem Schädelgehäuse wuchsen kurze, schwere Hörner, und meine stets bereite Phantasie malte sich aus, wie es sein
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