Alle lieben Peter
Stimme: »Peter — Peter«, ganz außer Atem.
Er duckte sich schnell hinter einem Busch, bis die Stimme verstummte. Dann setzte er seine Suche fort. Ein Bahndamm, ein Bach, Schrebergärten, dann eine Straße, auf der Autos fuhren. Eine ganze Weile saß er am Rand der Straße, und sein Affenköpfchen ging mit jedem Auto hin und her. Aber alle klangen anders als das von Herrchen. Vielleicht, wenn man die Straße entlanglief. Er wurde müde. Schon den zweiten Tag nichts gefressen. Jetzt kamen wieder Häuser, und aus dem Hof des einen roch es nach Fleisch. Ein dicker schwarzer Metzgerhund bog um die Ecke mit einem großen Knochen im Maul, an dem noch Fleischstücke hingen. Er ließ ihn appetitlos fallen und sank dann als ein großer Fellhaufen in sich zusammen. Peter stand, das rechte Vorderbein hochgehoben, hinter einem Holzstoß. Der roch übrigens ganz ähnlich wie der am Haus des guten alten Mannes mit dem Puter. Vielleicht kam Herrchen bald um die Ecke und sagte: »Na, du Lümmel?«
Die Hoffnung fachte seinen plötzlich erwachten Hunger zu beißendem Schmerz an. Wie eine Schlange wand er sich heran. Aber jetzt hatte der Große seine Witterung bekommen. Er hob den Kopf und knurrte. Peter sprang mit einem Satz vor und hatte den Knochen. Der Große war auch hoch, aber zu spät. Peter war schon ein Punkt am anderen Ende der Straße. Als es feststand, daß der Große ihn nicht mehr verfolgte, legte sich Peter in einen Vorgarten, nagte den Knochen ab und fraß schließlich mit seinen messerscharfen Zähnen auch die Knorpel an beiden Enden. Aber es war zu wenig. Er schlich sich weiter. Eine Straße mit niedrigen Häusern. Ein paar Kinder spielten auf dem Damm. Ein kleines Mädchen kniete sich hin und streckte die Arme nach ihm aus: »Guckt mal, der Lütte, is der aber süß!« Ein kleiner Hosenmatz, der an einer dicken Wurstsemmel kaute, hockte sich neben das Mädelchen und hielt ihm die Semmel hin. Mit einem Schnappen seiner Haifischzähne hatte er sie. Der Junge schrie. Peter sauste um die Ecke. Er fraß in einer Hofeinfahrt das Brötchen und suchte dann weiter.
Die Dämmerung sank. Und noch immer kein Herrchen und Frauchen, alles fremd, alles anders. Nebel stieg, es wurde feuchtkalt. Laternen flammten auf. Jede hatte einen Nebelring um sich, so daß sie aussahen wie große Augen. Noch immer wanderte er und wanderte, zitternd vor Kälte und Hunger. Endlich, schon zu Beginn der Nacht, fand er auf einem Hof eine offene Mülltonne. Er richtete sich auf und zerrte so lange mit den Pfoten an ihr, bis sie umfiel. Ein Fenster würde geöffnet, und ein Männerkopf fuhr heraus: »Ist da wer?«
Peter verkroch sich in den Schatten. Nach einer Weile fiel das Fenster wieder zu. Er schlich an die Tonne. Sie roch widerlich, aber er fand ein paar halbverdorbene Wurstscheiben, von denen er die Asche schüttelte, ehe er sie fraß, und dann auch noch ein paar Fischköpfe mit den Gräten und Schwänzen dran. Er schlang mit Todesverachtung die Köpfe und Schwänze herunter, auf den Gräten wälzte er sich. Er stand auf, schüttelte sich, dann begann er wieder zu frieren und mit den Höschen zu zittern. Wo blieb denn nun Herrchen mit der Decke? Aber es kam niemand.
Schließlich verkroch er sich in einen Schuppen. Da war es wenigstens noch etwas wärmer. Fauchend fuhr etwas im Dunkel hoch, ein Kater. Peter fletschte die Haifischzähne und stellte sein Bernhardinergrollen an. Der Kater sauste ins Freie. Peter beroch lange Zeit die Stelle, an der er gelegen hatte, und rollte sich dann dort zusammen. Es war noch etwas Wärme da. Dann schlief er, noch immer zitternd, ein.
Schon im Morgengrauen war er wieder wach. Die Kälte hatte ihn geweckt. Er hatte gerade von Mathilde geträumt: sie saß am Küchentisch, mit der Kaffeekanne vor sich, und hielt ihm ein Stückchen Kuchen hin, Schokoladenkuchen: »Hier, das ist für dich, mein kleines Leckermaul! Schön >Bitte-bitte< machen!«
Aber jetzt war nichts mehr von Mathilde da. Ein niedriges Haus, das ihn aus bösen Fensteraugen ansah, glitschig vom Frühnebel. Nun tat sich die Tür auf, ein schlampiges Weib erschien, und an ihr vorbei drängte sich ein großer grauer Spitz. Er schnüffelte ein paar Sekunden, dann hatte er Peters Geruch und kam an den Schuppen. Peter war gerade bei der Morgengymnastik. Der Spitz, im Vollgefühl sicheren Besitztums, fuhr keifend gegen ihn los. Peter haßte Spitze seit Waldenau, sie waren laut und böse, und man durfte sich nicht mit ihnen raufen. So schoß er denn
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