alle luegen
Glatteis überzogen, in der Luft tanzten dicke Schneeflocken. Ich würde nicht nur für Malcolms innere Ausgeglichenheit durch dieses Wetter nach Hause zurückgehen. Wahrscheinlich würde er sowieso nicht mit mir reden. Na ja, jetzt hatte er wirklich etwas, weshalb er mir böse sein konnte.
Als ich eintraf, war Malcolm bereits da und ging pfeifend seinen üblichen Aufräumarbeiten nach. Erstaunlicherweise wirkte er gut gelaunt und begrüßte mich mit einem melodischen »Guten Morgen«. Ich war platt.
»Geht’s Ihnen besser, Prinzessin?«, fragte er, während er konzentriert geblümte Halstücher faltete.
»Ja«, sagte ich, überrascht, dass er sich herabließ, überhaupt mit mir zu reden. »Danke.«
»Hat Ihr Nazi Sie bedient?«
»Nein«, erwiderte ich. »Und er ist kein Nazi.« Ich hatte diese Nazi-Nummer gründlich satt.
»Das sagen sie anfangs alle.« Er zwinkerte mir zu. Ich wartete, aber es kam nichts mehr. Ich beschloss, einen Versuch zu wagen. »Ich hab Ihr Stück gelesen.«
»Wurde auch Zeit«, sagte er. Seine Hände hielten einen Moment inne.
»Es ist klug«, machte ich einen weiteren Anlauf. »Und sehr witzig.«
»Was haben Sie erwartet?«
»Mindestens etwas Geniales.« Gut, ich trug ein bisschen dick auf. Und Malcolm schien zum ersten Mal, seit ich ihn kannte, sprachlos.
»Tja«, sagte er schließlich und nahm einen Häkelschal in die Hand. »Die Pläne haben sich geändert. Das Genie muss warten.«
Ich hätte beinahe gefragt, ob er sich gut fühlte. »Soll das heißen, dass Sie das Handtuch werfen?«
»Oh, lieber Gott, nein«, rief er. »Aber ich habe beschlossen, ein kommerzieller Autor zu werden. Ich habe mich dem Mammon verschrieben und ich bin unfassbar glücklich, diesen stinkenden Hühnerstall hier verlassen zu können!« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, stampfte er mit den Füßen auf.
»Soll heißen?«
»Ich schreibe für die Glotze.«
»Oh.«
Er zuckte die Achseln. »Einfach nur Räuber-und-Gendarm-Quatsch. Breitschultrige Kerle mit Gewehren. Null Anspruch. Aber ich habe immerhin einen Vertrag. Bei Interesse bitte vertrauensvoll an meinen Agenten wenden.«
»Aha«, staunte ich. »Sie sind also weg hier?«
»Noch nicht sofort«, gab er zurück. »Allerdings hab ich einen Vorschuss gekriegt. Für Foie Gras und französischen Roten reicht es aber noch nicht.«
»Immerhin ein Anfang.«
»Wahrscheinlich.« Er seufzte. »Die Karriere eines jeden großen Künstlers hat irgendwo mal einen Tiefpunkt.«
Ich lachte. Wenn er irgendwann sein Prime-Time-Special hätte, würde er bestimmt furchtbar leiden. »Wie sind denn die Fernsehleute auf Sie gestoßen?«
Er sah mich an, als ob die Antwort auf der Hand läge. »Ich habe ein Talent für Gewaltdarstellungen. Das sollten Sie wissen, wenn Sie das Stück gelesen haben.«
»Stimmt«, bestätigte ich. »Tofu Jackson findet ein böses Ende.«
Malcolm gab sich nachdenklich. »Der Tod hat etwas Befreiendes. Aber ein vorzeitiger Tod ist ... absolut tragisch. Genau so möchte ich abtreten«, fuhr er fort. »Ich möchte, dass die Menschheit mein vorzeitiges Dahinscheiden beklagt. >Merde<, sollen sie sagen. >Er war doch so ein brillanter junger Mann.< Und dann werden immer neue Gänge von exquisiten Hors D’Oevres aufgetragen.« Er schüttelte seine behaarte Faust. »Was für ein gemeiner Schuft Gott auf seinen unergründlich dämlichen Wegen sein kann!« Er zitierte eine Person aus seinem Theaterstück. Keine üble Darbietung.
Eine Frau in den Vierzigern fragte, ob wir ihr behilflich sein könnten. Malcolm sah ihre Hermes-Tasche und beendete seine Privatvorstellung augenblicklich. Von einer Sekunde auf die andere war er ganz Servi-lität und mimte - halb ironisch - den hingebungsvollen Verkäufer. Sie war entzückt und ließ sich die teuersten Produkte andrehen, die Malcolm finden konnte. Er war wirklich ein erstaunlicher Mensch.
Seine Stimmung war mir aber immer noch rätselhaft; offensichtlich hatte er ganz vergessen, dass er eigentlich beleidigt war. Wahrscheinlich hatte er so was einfach ab und an - Wutanfälle, nur um sie sofort wieder zu vergessen, sobald sich etwas Interessanteres bot. In diesem Fall war sein ganzer Ärger wohl nichts als heiße Luft gewesen. Mir sollte es recht sein. Malcolm war mir schließlich am liebsten, wenn er gut drauf war.
Gegen elf Uhr abends klingelte es an der Tür. Ich war schon im Bademantel. Durch den Spion sah ich Christian, wie er eine abgewetzte Aktentasche hin- und herschwang. Zuerst wollte
Weitere Kostenlose Bücher