Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

alle luegen

Titel: alle luegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Castaldo
Vom Netzwerk:
Satz war ziemlich gut. »Sie?«
    »Leider ja.«
    Ich musterte seine Augen. Sie waren klein, dunkel und intelligent. Ich tat wieder so, als ob ich lesen würde. Ich hatte keine große Lust auf eine Unterhaltung. Ein anderes Mal wäre ich vielleicht kommunikativer gewesen. Ein paar Minuten verstrichen. Von irgendwo war blecherne Kaufhausmusik zu hören.
    Er zog ein schwarzes Notizbuch aus seiner Jackentasche und blätterte darin herum. Er schien irgendetwas zu suchen. Dann wurde die Ankunft des Air India-Flugs 907 angekündigt.
    »Schon mal da gewesen?«
    »Wo?«
    »In Indien?«
    »Nein.«
    »Ein Drecksloch.«
    »Tatsächlich?«
    Er nickte. Ich hätte ihn gerne gefragt, was er in so einem Drecksloch zu suchen gehabt hatte, aber er war mit seinem Notizbuch beschäftigt. Irgendwas musste er hineinkritzeln. Ich wandte mich wieder der Zeitung zu. Er tappte rhythmisch mit dem Fuß. Auf und ab. Auf und ab. Immer wieder. Es klang weniger nervös als abwartend. Ich überlegte, ob ich ihn fragen sollte, was er hier machte, aber dann fiel mir ein, dass ich keine Gegenfrage beantworten wollte. Ich faltete meine Zeitung zusammen.
    »Sie gehen?«
    »Nach einem Flug sehen.«
    »Er hat Verspätung«, sagte er, ohne aufzusehen.
    »Sie wissen ja nicht einmal, nach welchem ich sehen will.«
    »In der nächsten Stunde kommen nur zwei Flieger rein. Einer von Islamabad, der andere von Kalkutta.« Er knöpfte sein Jackett auf. »Und die haben immer Verspätung.«
    Jan kam mit Air India.
    »Übrigens, mein Name ist Jacob«, stellte er sich vor.
    Ich lächelte und nannte ihm den ersten Namen, der mir in den Sinn kam. »Ich bin Candy.«
    »Candy?« Er lächelte. »Ohne Scheiß?« Er zerbiss einen Eiswürfel zwischen den Zähnen. Ich hätte Joan oder sonst was sagen sollen. Er starrte einen Moment lang mit seinen dunklen Augen in die meinen.
    »Sind Sie aus der Stadt hier?«
    »Ja.«
    »Woher ungefähr?«
    »Seventh und Fourteenth.« Ich hatte ihm keine ehrliche Antwort geben wollen, doch mein Mund schien sich unabhängig von meinem Verstand zu bewegen. Ich hatte die unangenehme Angewohnheit, höflich zu sein. Ich schaffte es nie, jemandem einfach zu sagen, dass er sich verpissen sollte - irgendwas fehlte mir dazu.
    Er nickte gemächlich, als würde er sich einen speziellen Angriffsplan zurechtlegen.
    »Hören Sie«, sagte er schnell. »Ich würde Sie gerne zu einer Party einladen. Ich bin Promoter und veranstalte sehr oft Partys.« Er schob seine Hand in seine Brusttasche und zog ein Kärtchen heraus: Jacob Bloom, Promoter. Darunter standen vier Telefonnummern.
    »Sie haben aber ziemlich viele Nummern«, bemerkte ich und nahm die Karte. Er hatte schöne Hände mit glänzenden, manikürten Nägeln.
    Er zuckte die Achseln. »Ich bin schwer zu erreichen.«
    »Vermutlich«, antwortete ich und stand auf.
    »Danke für den Platz.«
    »Keine Ursache.«
    »Wir sehen uns.«
    »Bye.«
    Ich wanderte durch die Flughafenhalle, um einen Blick auf den Monitor zu werfen. Der Party-Promoter hatte Unrecht gehabt - die Maschine kam pünktlich. Jan würde in fünf Minuten eintreffen. Mir war übel. Der Augenblick war da. Ich wünschte, er wäre es nicht.
    Ich sah zu, wie die Passagiere aus den Gängen kamen. Glasige, schlafbedürftige Augen suchten die Abholenden ab. Die meisten Männer trugen weiße Turbane, die Frauen farbenprächtige Saris. Um mich herum begannen die Wiedervereinigungen; Menschen küssten und umarmten sich. Ich sah Jan, bevor er mich sah. Sein Gesicht war so faszinierend wie eh und je. Blasse Haut, die durch die milchig blauen Augen und die dunkelrosafarbenen Lippen betont wurde. Er war mindestens eins neunzig groß, wirkte aber noch größer. Ich stand da wie angewurzelt - als würde ich an dem Linoleum festkleben. Dann sah er mich auch. Eine Weile lang starrten wir uns nur an, und es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Dann lächelte er und umarmte mich fest.
    »Du hast mir gefehlt«, murmelte er, ohne mich loszulassen. Ich sagte ihm das Gleiche.
    »Zwanzig Stunden«, sagte er, »ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest.«
    Das hatte ich gar nicht in Erwägung gezogen. »Ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest!«
    Wieder versenkte ich mich in seine Augen - sie waren vollkommen anders als alle anderen Augenpaare, die ich je gesehen hatte - fast durchscheinend, ein nichtexistenter Blauton.
    Ich trat zurück und wäre fast über Jacob, den Party-Promoter gestolpert. Unsere Blicke trafen sich, aber er sah durch mich hindurch. Ich

Weitere Kostenlose Bücher