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drehte mich wieder zu Jan um. »Hast du noch mehr Gepäck?«, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Nur das hier.« Er hielt einen kleinen, schwarzen Koffer hoch.
»Kein Ballast«, stellte ich fest.
»Nie«, sagte er. Jan wirkte wie einer, der von Kontinent zu Kontinent springen konnte, als würde er Hüpfekästchen spielen.
Während wir mit dem Aufzug zu den wartenden Taxen hinunterfuhren, warf ich ihm immer wieder verstohlene Blicke zu. Eigentlich sah er genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte - obwohl vielleicht seine Haare etwas dunkler und die Wangen eingefallener waren. Und er schien ein paar Pfund zugelegt zu haben. Als ich es ihm sagte, lachte er, wobei sein dreieckiges Gesicht weicher wurde.
»Ich vergesse immer wieder, wie hektisch New York ist«, bemerkte er, während er das Chaos um uns herum in sich aufnahm.
»Du warst schon einmal hier?« Er hatte es nicht erwähnt. Oder vielleicht hatte er es doch. Wir hatten in Europa über so viele Dinge gesprochen und so viel unternommen, dass ich mich nicht an jedes Detail erinnern konnte.
»Oh«, antwortete er nonchalant. »Zu viele Male, um sie zählen zu können.«
Es kam mir komisch vor, dass Jan New York vielleicht besser kannte als ich. Er könnte den Führer machen; der Gedanke gefiel mir.
»Du könntest mir ein bisschen was zeigen«, schlug ich vor.
»Gerne«, erwiderte Jan.
Ich hatte nicht mehr in Erinnerung gehabt, wie gut er sprach; sein Englisch war perfekt. Er hatte mir erzählt, dass sein Großvater Brite war. Er sprach praktisch akzentfrei.
Draußen war es grau; Wolken ballten sich am Himmel zusammen und ließen Eisregen befürchten. Wir stellten uns in die Schlange der frierenden Reisenden, die darauf warteten, ein Taxi zu bekommen. Ich rückte näher an Jan. Er zündete sich eine Zigarette an, dann drückte er sanft meine Hand. Seine fühlte sich warm und glatt an.
»Du frierst.«
»Kein Wunder bei diesem Wetter.«
»Im März ist es noch schlimmer«, erzählte er. »Der Wind reißt einen schier auseinander.«
Ich konnte mir kaum vorstellen, dass es noch viel kälter werden konnte. Und im März würde ich wieder in Kalifornien sein.
Schließlich saßen wir auf dem Rücksitz eines Taxis, das die Grand Central entlangfuhr. Es war eines dieser alten Wracks; das Quietschen und Knarzen der ramponierten Sitze begleitete uns ganz bis nach Manhattan hinauf. Jan warf mir ein paar Mal einen Blick zu, als wollte er mich küssen, aber er tat es nicht. Er liebkoste meine Hand, als sei die Berührung allein schon aufregend genug. Und das war sie auch. Es machte mir nichts, wenn er die Sache behutsam angehen wollte. Eigentlich zog ich das sogar vor. Mittlerweile war ich leider an das Gegenteil gewöhnt: Jeder mittelmäßige Typ erzählte einem schon nach der Vorspeise, dass er ein geläuterter Drogenabhängiger oder ein emotionaler Krüppel sei. Jans Zurückhaltung war angenehm.
Er sagte dem Taxifahrer, dass wir zwei Stopps machen wollten. Er würde erst mich absetzen und dann ins Hotel fahren, um ein bisschen zu schlafen, wenn es mir recht wäre. Er würde mich dann gegen acht abholen. Ich war natürlich einverstanden, schließlich hatte ich durchaus keine anderen Pläne gemacht. Ich ging zurück in Carmis Wohnung und wartete.
Um acht tauchte Jan mit einem Strauß weißer Tulpen auf. Carmi besaß keine Vasen, sodass ich mit einem Teekessel improvisieren musste. Dann gingen wir einen Block weiter zu einem winzigen französischen Restaurant, an dem ich schon zigmal vorbeigegangen war. Jan war bei seinem letzten New York Besuch hier gewesen; er meinte, es wäre ganz gut, wenn man Cassoulet und so was mochte. Wir setzten uns an einen kuscheligen Ecktisch ganz hinten. Der Laden war in Rosa und Mauve gehalten. Selbst die Teller waren rosa. Auf jedem Tisch leuchteten weiße Kerzen. In der Mitte des Raumes brannte ein Kamin. Jan bestellte bei einem Kellner mit einer schrecklichen Frisur und einem dünnen Schnurrbart eine Flasche Bordeaux. Dann betrachtete er mich eingehend. »Wie lange ist es her, seit wir uns gesehen haben?«
»Monate«, sagte ich.
»Es kommt mir wie Jahre vor.«
Wir lachten beide. Es war wirklich lange her, aber ich fühlte mich überhaupt nicht unbehaglich. Und Jan genauso wenig, wie es mir vorkam. Der Kellner kam mit dem Wein und entkorkte die Flasche. Wir bestellten.
Als wir wieder allein waren, begann Jan mit den Worten: »Dann bleibt uns nur noch eins.«
»Was denn?«
»Wein trinken natürlich«, sagte er
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