Alle meine Schaefchen
Ellis, der Kuhspezialist zu dieser Bemerkung gesagt haben würde. Er war der lebende Beweis dafür, daß Schönheit in den Augen des Betrachters liegt. Es gab Zeiten, in denen ich die knochigen Rindviecher verfluchte, aus denen unsere kleine Herde, angefangen von den platten, behaarten Schnauzen bis hinten zum letzten Zipfel Schwanz, bestand. Ellis jedoch wankte niemals in seiner absoluten Hingabe zu ihnen. Für ihn waren Kühe im allgemeinen, und Friesenkühe im besonderen, höhere Kreaturen.
Als daher einige Tage zuvor ein dünner, langer Mann mit Goldrandbrille in der >Schmiede< zu tief ins Glas geschaut hatte und dann in aller Öffentlichkeit anfing, den Tag zu verfluchen, an dem er von der Rinderzucht zur Milchwirtschaft überwechselte und sich mit undankbaren Milchkühen einließ, stießen sich die Stammgäste an und blickten erwartungsvoll auf den schweigsamen kleinen Mann. Und als derselbe dünne Mann nicht aufhörte, von unberechenbaren Kühen zu reden, die sofort hinten ausschlugen, sobald man sie anfaßte, sah man einige schiefmäulige Lächeln auf den Gesichtern der Runde.
Bill Martin, einer der wohlhabendsten Männer der Gegend, trank von seinem Bier und zog seine Weste zurecht, bevor er hinterlistig fragte: »Was glaubst du, Ellis, was den Kühen fehlt?«
»Ein neuer Kuhknecht; einer, der von der Sache etwas versteht«, verkündete der Experte ohne Zögern, und er unterstrich seine Worte mit einem derart heftigen Nicken, daß ihm beinahe die Mütze vom Kopf fiel.
Leises Gelächter war zu vernehmen, und der Dünne sagte: »Nun aber mal langsam...«
»Meistens kommen wunde Zitzen von schlechter Behandlung«, fuhr Ellis unbarmherzig fort. »Wahrscheinlich müssen Sie ‘n bißchen mehr Wasser zur Zitzensalbe geben. So wie sich’s anhört, reiben Sie sie wund. Wenn irgendein blöder Idiot Ihnen Jod auf eine offene Wunde gießen würde, würden Sie ihn auch vors Schienbein treten.«
»Los, Ellis, gib’s ihm«, murmelte jemand.
Doch man brauchte ihn nicht anzufeuern. »Sobald Sie es gelernt haben, Kühe richtig zu behandeln, mein Freund, werden Sie sie ohne Ausnahme als vollendete Damen erleben, die sich besser benehmen als Leute wie Sie... oder ich.«
Dem Dünnen stieg die Röte ins Gesicht, aber er beherrschte sich. »Sie hören sich ja an, als wüßten Sie alles...«
»O ja, das tut er auch«, fiel ihm Bill Martin ins Wort mit einem Lachen. »Sie können seine Worte für bare Münze nehmen.«
»Nun«, sagte der dünne Mann, als er merkte, daß er dagegen nicht ankam, »wenn das der Fall ist, warum kommen Sie dann nicht mal zu mir und sehen sich die Viecher an?«
Der Vorschlag klang vernünftig und wurde allgemein begrüßt. Man begrub die Streitäxte und verabredete sich. Aber Ellis war immer noch deprimiert bei dem Gedanken, was diese wunderbaren Lebewesen doch so alles unter den bösen, minderwertigen Menschen auszuhalten hatten.
»Das tut einem in der Seele weh«, sagte er, während der dünne Mann sein Bierseidel zum zweiten Mal füllte.
»Hm«, machte Shirley, als ich ihr in der Nacht, nachdem Price und sein Bruder gegangen waren, von der Geschichte aus der >Schmiede< und der Behauptung, >Kühe sind vollendete Damen<, berichtete. »Ich hab’ dich aber schon anders von ihnen sprechen hören.«
John hatte es sich vor dem Kamin gemütlich gemacht, er las in einem Buch aus der Bibliothek über die Geschichte dieser Gegend. Nun aber sah er zu uns herüber und sagte: »Lizzie hat er nicht als Dame bezeichnet, als sie ihm mit dem Schwanz eins überzog.«
Die Erinnerung daran schmerzte. Während des Melkens hatte ich irgend etwas getan, was Lizzie-Three-Spots verärgert hatte. Prompt hatte sie mit ihrem Schwanz ausgeholt und mir eins wie mit einer Lederpeitsche im Gesicht übergewischt. Als ich fluchte, drehte sie sich in der Box um und sah mich mit einem derart selbstzufriedenen Ausdruck an, daß John losbrüllte vor Lachen.
Ich lag also nicht ganz auf Ellis’ Linie. Seit ich bei ihm gewesen war, um alles über Kühe und ihr Zubehör zu lernen, waren eine Menge Morgen vergangen, an denen ich ihretwegen um fünf Uhr aufgestanden war. Es hatte Zeiten gegeben, in denen ich — in Erinnerung an mein Leben in der Großstadt — dachte, daß die einzige vernünftige Weise, sich Milch zu beschaffen, die war, sie reinzuholen, wenn der Milchmann mit seinem Käppi und gestreifter Schürze sie vor der Haustür abgestellt hatte. Doch ebenso gab es Zeiten, in denen ich Ellis, den Kuhspezialisten,
Weitere Kostenlose Bücher