Alle meine Schaefchen
sein.«
Unserer großen Friesenkuh ging es gar nicht gut. Sie war hochträgig, das Kalb sollte in einer Woche auf die Welt kommen, und man sah ihr die Anstrengung an. Hinzu kam, daß das augenblicklich herrschende feuchtkalte Wetter ihre Arthritis verschlimmerte.
Obgleich es mir schwerfiel, den damit verbundenen Tatsachen realistisch entgegenzusehen, mußte ich eingestehen, daß sie ein Lebensalter erreicht hatte, in dem die Reproduktion zu einer immer schwereren Last wurde. Eine traurige Feststellung, denn eines der Gesetze auf einem Bauernhof lautet, daß weibliche Tiere, egal ob es um Schweine, Schafe oder Kühe geht, nur so lange gehalten werden dürfen, wie sie fruchtbar sind. Das klingt zwar hart, aber Kühe produzieren nun mal Milch, um Kälber zu säugen und nicht, um Flaschen zu füllen. Sobald ein Kalb geboren wird, beginnt die Kuh während etwa dreihundert Tagen Milch zu geben. Anschließend bleibt sie trocken, bis das nächste Kalb auf die Welt kommt. Ohne Kalb keine Milch! Das hatten wir bereits ganz zu Anfang unserer >Karriere< als Bauern auf Egerton gelernt. Und ebenso hatten wir erfahren, daß, wenn Kühe einmal keine Kälber mehr werfen und keine Milch mehr produzieren können, es keine andere Möglichkeit gibt, als sie auf dem Markt als >unfruchtbar< den Schlächtern zu verkaufen. Aber niemand in meiner Familie wollte es zulassen, daß Whitey dieses Schicksal beschieden war. Allein der Gedanke daran war unerträglich!
»Sie ist in einem jämmerlichen Zustand«, sagte John, als ich mich zu ihm an den Tisch setzte. »Wenn sie ein Mensch wäre, würde man ihr eine Woche Urlaub am Meer zubilligen.«
Shirley stand am Herd und briet in einer großen Pfanne reichlich Eier mit Speck. »Wer braucht das nicht?«
»Im Ernst. Sie braucht etwas, womit sie aufgemöbelt werden kann.«
Dem konnte abgeholfen werden, denn Shirley verabreichte des öfteren griesgrämigen Kälbern einen speziellen >Cocktail<. Sobald wir also mit dem Frühstück fertig waren, holte sie eine große Schüssel hervor, in der sie zwei Eier sowie eine großzügige Portion an Glucose mit einer Mischung aus selbstgemachtem Sherry und Wacholderbeerwein kräftig verrührte.
John tauchte einen Finger hinein, leckte ihn ab und verkündete: »Köstlich!«
Das Endergebnis füllte mehr als dreiviertel einer Weinflasche. Die Dosis schien mir etwas zu reichhaltig.
»Ph«, meinte Shirley ganz zuversichtlich. »Für eine Dreißigliterkuh ist das nur ein Fingerhut voll.«
Zu dritt gingen wir hinüber zu dem Gehege, in das wir die große Friesenkuh gesteckt hatten, um ihr die >Medizin< einzuflößen. Sie war eine gutmütige Kreatur, und so war es für mich nicht sehr schwierig, ihren Kopf nach oben zu ziehen, während John ihr seitlich die Flasche ins Maul steckte und den Inhalt ihren Schlund hinunterlaufen ließ.
Als es vorbei war, blickte die Kuh uns vorwurfsvoll an. Dann rülpste sie, und man konnte in dem Gehege den süßlichen Geruch von Wein wahrnehmen.
»Wohlsein«, sagte meine Frau und ging mir voran aus dem Stall; John wollte noch eine Weile bei dem Tier bleiben, um sicherzugehen, daß alles mit ihm in Ordnung war.
»Man sagt, daß Gin sehr gut dafür ist«, sagte Shirley nachdenklich, als wir auf das Haus zugingen.
»Für kränkelnde Kühe?«
»Nein, wenn ein Baby sich verspätet. Ich habe gehört, daß in solcher Situation ein steifer Gin Wunder bewirken kann.«
Eine halbe Stunde später gesellte sich John zu uns. »Sie ist zwar ein bißchen angeschlagen, sieht aber glücklicher aus.«
»Noch kein Kalb da?«
Überrascht sah er uns an.
Shirley schenkte ihm eine Tasse Tee ein. »So schnell kann es natürlich auch nicht wirken. Und außerdem sind Sherry und Wein nicht so gut wie Gin.«
Doch es verging noch eine weitere Woche, bis das Kalb auf die Welt kam. Alles verlief glatt und ohne Komplikationen. Obwohl das schwarzweiße Fell des kleinen Kälbchens noch feucht von der Geburt war, stand es bereits schwankend auf seinen langen, noch unsicheren Beinen und trank eifrig, als wir vor dem Beginn der morgendlichen Pflichten in das Gehege schauten.
Es war ein friesisches Stierkälbchen und nicht eine junge Färse, wie wir gehofft hatten, um sie als Milchkuh aufzuziehen.
»Es ist zwar etwas enttäuschend, aber zumindest ist es endlich da«, sagte ich zu John.
Freunde haben schon oft behauptet, daß unser Sohn mit einem besonderen Instinkt für Tiere begabt ist. Er sorgte sich um die Kuh. »Sie sieht recht erschöpft
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