Alle meine Schaefchen
aus.«
»Vielleicht wird sie sich jetzt wieder erholen, nachdem nun alles vorbei ist«, sagte ich, aber seine Befürchtung war irgendwie ansteckend. Um es mit seinen Worten zu sagen: Ich verspürte schlimme Vibrationen.
Das Kalb ließ die Zitze einen Augenblick los, drehte uns sein Babygesicht zu und wendete sich dann wieder seiner Aufgabe zu. Das würde die einzige Mahlzeit sein, die es von seiner Mutter bekam. Unser System bestand darin sicherzustellen, daß ein Kalb das Kolostrum erhielt, jene Milch, die von der Mutter gleich nach der Geburt produziert wurde. Kolostrum war reich an Vitaminen, Antikörpern und natürlichen Abführmitteln. Anschließend wurde es mit Flaschenmilch großgezogen, was in unseren Augen die erfolgreichste Methode der Aufzucht war.
Ich war gerade im Begriff, mit einer Sichel die Heckenumzäunung einer Weide zurückzuschneiden, während John die Zweige zum Verbrennen zusammentrug, als Shirley plötzlich armeschwenkend herbeilief und rief: »Whitey ist zusammengebrochen!«
»Wie ist das passiert?«
»Ich weiß es nicht. Sie rührt sich nicht. Kommt, beeilt euch!«
Das brauchte sie uns nicht zweimal zu sagen. Wir rannten bereits davon.
Die Kuh sah riesig aus, wie sie so auf der Seite auf dem Stroh ausgestreckt lag. Ihre Ruhe war furchterregend. Zweifellos mußte etwas geschehen, und zwar schnell. Es blieb keine Zeit, Freunde herbeizurufen und um deren Rat zu bitten.
»Milchfieber?« fragte ich und blickte zu John.
»Was könnte es sonst sein?«
Keine unserer Kühe hatte diese Krankheit je gehabt; aber in einem unserer Handbücher, die wir vorsorglich aus der Großstadt mitgebracht hatten, um die zahlreichen Löcher in unserem Wissen zu stopfen, hatten wir darüber gelesen.
»Im Lagerraum steht eine Flasche mit Kalzium«, sagte ich. John eilte davon, um sie zu holen.
Etwas hilflos stand das Kalb in einer Ecke. Plötzlich fing es an zu brüllen. Da packte ich es bei den Nackenhaaren und am Schwanz und schob es in das nächstliegende freie Gehege.
Shirley hatte sich vor die Kuh gekniet und streichelte die Nase. »Was ist die Ursache?«
»Kalziummangel, verursacht durch das Kalben — so steht’s jedenfalls im Buch. So schnell wie möglich müssen wir ihr Kalzium geben.«
»Kann das tödlich sein?«
Ich kreuzte zwei Finger und spuckte aus. »Diesmal nicht, hoff ich.«
»Die Kinder würden entsetzlich traurig sein, falls Whitey stürbe.«
»Ich auch, ebenso wie die Bank«, fügte ich hinzu.
Sie kam nicht mehr zum Antworten, da John wieder auf tauchte.
Auf den Verschluß der Flasche konnte man eine Plastikröhre schrauben, die am Ende mit einer langen, hohlen Nadel versehen war.
»Was meinst du, wohin soll ich stechen?« sagte ich und zeigte auf die Nadel.
»Versuch eine Vene zu erwischen. Man soll es direkt in die Blutbahn spritzen.«
Ich atmete tief ein, kniete mich hin und stach die Nadel durch die lose Haut unterhalb der Rippen. Sie war stumpf, so daß ich Kraft anwenden mußte. Shirley konnte den Anblick nicht ertragen und sah zu Seite.
Ganz langsam floß die Lösung in das erschöpfte Tier. Wir leerten die Flasche und setzten die Nadel an verschiedenen Stellen ein, um die Wirkung so stark wie nur irgend möglich zu machen.
»Und jetzt?« fragte Shirley, als nichts mehr in der Flasche war.
John zuckte die Schultern: »Abwarten.«
Ich rief den Tierarzt an. Ted Gray war zwar unterwegs, aber seine Frau versprach zu versuchen, ihn zu erreichen. Sie hatten sich ein System ausgedacht, nach dem er sich zu Hause in Abständen meldete, um zu sehen, ob irgendwelche Notfälle eingetreten waren, die seinen Besuch notwendig machten. Zwanzig Minuten später rief sie zurück und sagte zu John, der quer über den Hof gestürzt war, um das Telefon abzuheben, daß ihr Mann in einer Stunde bei uns wäre. Niedergedrückt warteten wir auf ihn, unfähig irgend etwas anderes zu tun, und sprachen mit gedämpften Stimmen wie in einem Krankenhaus, darauf wartend, daß sich an irgendeinem Zeichen offenbaren würde, daß wir richtig gehandelt hatten. Doch von seiten der Kuh kam keinerlei Reaktion. Bewegungslos lag sie da, und nur das leichte Heben und Senken ihrer Rippen verriet, daß sie noch atmete.
Wir hörten das Auto des Tierarztes den Weg herunterkommen, und ich ging raus, um ihn zu begrüßen.
»Fast immer sind es die großen Milchkühe, die diese Krankheit bekommen«, sagte der hochgewachsene Mann, als wir zum Gehege gingen.
Für ihn war die Angelegenheit nur Routine, für uns sah
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