Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle meine Schaefchen

Alle meine Schaefchen

Titel: Alle meine Schaefchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Holgate
Vom Netzwerk:
Seh’ ich so alt aus?«
    »Nein, überhaupt nicht.«
    »Das kommt vom Saufen«, kicherte er. »Bin nie ein Bursche für die Damen gewesen, jedenfalls nicht mehr seit dem Tod meiner Frau vor über zwanzig Jahren. Die Damen sind es, die einem Mann Kummer und Sorgen machen und ihm dem Lebenssaft aus den Knochen ziehen. Wenn man f sich an die Flasche hält, lebt man ewig.«
    Ich versprach, seinen Ratschlag nicht zu vergessen.
    Als wir am Haus angekommen waren, spähte Shirley ] etwas mißtrauisch durchs Küchenfenster, bevor sie uns die | Tür öffnete.
    »Möchten Sie ‘ne Tasse Tee?«
    Etwas Stärkeres wäre ihm sicherlich lieber gewesen, aber j er nahm das Angebot an.
    Einige Minuten später saß er am Tisch und aß heißhungrig einige Käsebrote.
    »Ich war heut morgen ziemlich in Eile, um mir Arbeit zu besorgen. Daher vergaß ich, mir ‘n anständiges Frühstück zu machen«, erklärte er.
    In Shirleys Augen sprühte es, aber sie unterdrückte ein Lächeln. »Sie leben allein?«
    »Seit zwanzig Jahren Witwer.«
    »Keine Familie?«
    Seine Augen trübten sich leicht. »Zwei Söhne, beide in Amerika. Es geht ihnen sehr gut, aber für mich haben sie keine Zeit.«
    Das war offensichtlich ein wunder Punkt, wir sprachen nicht mehr davon.
    »Leben Sie in dieser Gegend?«
    »Habe ‘ne winzige Hütte auf dem Halfpenny Field in der Nähe der Leasowes. Wo sonst sollte ich wohl leben?«
    Wir beide machten eine ahnungslose Miene, und er lachte. »Sie können das ja gar nicht wissen. Ich war nämlich früher mal Viehtreiber, als ich noch ein junger Mann war. Damals gab es noch nicht die Laster, die uns alle arbeitslos gemacht haben.«
    »Und?«
    »Bei den Leasowes kamen früher die alten walisischen Viehtreiber vorbei und legten für die Rinder ‘ne Ruhepause ein. Futter und Wasser, einen halben Penny pro Rind und Nacht. Das hab’ ich zwar nicht mehr erlebt, aber wir haben sehr ähnlich gearbeitet.«
    »Sie haben mit Vieh gehandelt?«
    »Hab’ es von Wales her die alten Straßen entlanggetrieben. Die ganz großen Entfernungen wurde es mit dem Güterzug transportiert, aber bei den kürzeren Strecken war es billiger, das Vieh zu treiben, wenn man es irgendwo über Nacht ausruhen lassen konnte. Mehrfach kamen unterwegs noch Rinder hinzu — manchmal zwei oder auch drei — und vergrößerten ständig die Herde. Über Entfernungen von achtzig Kilometern, ja sogar bis zu hundertfünfzig Kilometern haben wir die Herden runter nach Ludlow oder Craven Arms getrieben. Dort wurden sie dann verkauft und zum Abtransport in den Süden in Güterwagen verladen. Einige von den alten Männern, die ich als kleiner Junge noch kennengelernt habe, behaupteten, sie hätten Rinder sogar bis nach London getrieben. Aber ich nicht, das war noch vor meiner Zeit gewesen.«
    Es hätte uns Spaß gemacht, noch länger bei ihm zu sitzen und seinen Geschichten zuzuhören, aber leider erwarteten wir einen Abgesandten des Ministeriums, der prüfen wollte, ob einige unserer Mastkälber für Zuschüsse in Frage kämen. Ich führte unseren Gast daher hinüber zum Viehhof und zeigte ihm die Kälber.
    »Die sehen gut aus«, meinte er pflichtschuldig. »Als ich noch ein Kind war und in Irland lebte, hatten wir auch einen kleinen Bauernhof. Wir Jungen, ich hatte noch einen Bruder, schliefen immer dann mit den Kälbern in deren Gehegen, wenn irgendwelcher Verwandtschaftsbesuch da war und alle Betten belegt wurden.«
    Als der Abgesandte eintraf, ein muskulöser und fröhlicher Ex-Bauer, ging unser Besuch wieder den Weg hinauf. In seiner Tasche steckte etwas Geld für die nächste Gastwirtschaft, und uns ließ er bereichert von seinen Geschichten und seiner Bekanntschaft zurück.
    »Puh, er müffelte ganz beachtlich«, sagte Shirley und rümpfte die Nase, als ich zum Mittagessen hereinkam.
    Ein paar Tage später sagte Griff lachend zu mir in der Gastwirtschaft: »Ich nehme an, daß Paddy dir einen Besuch gemacht hat.«
    »Du kennst ihn?«
    »Fast jeder hier kennt ihn. Er wohnt in einer alten Hütte oben am Gemeindeland. Bei einer steifen Brise würde alles davonfliegen — und er mit.«
    »Er behauptet, früher Viehtreiber gewesen zu sein.«
    Unser Freund nickte. »Ja, das stimmt. Einer von der alten Sorte und ein Draufgänger, als er noch jung war.«
     
    Die restlichen Tage dieses Monats gingen rasch vorbei, die Frühlingskirmes wurde in Ludlow gehalten, und Paddys Besuch geriet in Vergessenheit. Den beiden Kleinen war es gelungen, etwa ein Pfund für jeden

Weitere Kostenlose Bücher