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Alle meine Schuhe

Alle meine Schuhe

Titel: Alle meine Schuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hepburn Lucy
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später – sie war schließlich in Amerika – war sie mit dem Auto unterwegs. Es bedurfte ihrer ganzen Konzentration, in dem süßen kleinen silberfarbenen Wagen mit Automatikgetriebe auf der falschen Seite zu sitzen. Immer wieder griff sie auf der Suche nach der imaginären Gangschaltung nach dem Türöffner.
    Ihr Ziel – die Küstenstadt Patchogue – lag ungefähr eine Stunde entfernt. Der größte Teil ihrer Route führte durch das Gebiet, das sie bei ihrer Anreise am Vortag verschlafen hatte, und sie freute sich darauf, dieses Mal etwas von der Landschaft zu sehen.
    Amys Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Zu ihrer Linken begleitete sie fast die gesamte Fahrt über der schillernde Ozean. Es ging an saftigen, hügeligen Feldern und dichten Wäldern vorbei und durch eine Reihe von Städten. Die Häuser waren oftmals mit Schindeln verkleidet und die Straßen von Bäumen gesäumt. Es gab kleine Einkaufszentren und von der Sonne beschienene Parks. Alles wirkte so freundlich, dass ständig ein Lächeln Amys Mund einrahmte. Gut gelaunt suchte sie sich im Radio einen Sender mit Country und Western Musik und sang bei jedem Lied mit. Die Texte dachte sie sich jedoch selbst aus.
     
    Ich hol mir meine Schuh zurück (oh yeah),
Denn die brauche ich zu meinem Glück.
    Ich werde meine Schulden begleichen (yes, Sir),
Und all meine Ziele erreichen …
    Singend brauste sie mit offenem Fenster und wehenden Haaren dahin.
     
     
    Ich mache meinen Mann bald platt,
weil er meine Schuhe verscherbelt hat …
     
    Etwas zu finden, das sich auf Justin reimte, war schwierig, aber in einer plötzlichen Eingebung war ihr schadenfroh dustbin eingefallen – Mülleimer. In dem Moment näherte sie sich bereits ihrem Ziel. Patchogue.
    Amy kratzte sich am Kopf. Wie spricht man diesen Ort eigentlich korrekt aus? Patch-oag? Patch-oagy? Oder wird das g nicht mitgesprochen? Patcho?
    Sie fuhr in die Stadt hinein und schien sich direkt im Zentrum zu befinden, das sich bis zu dem geschäftigen Hafen erstreckte. Dort stellte Amy den Wagen ab, stieg aus und spazierte durch die Hitze zu einer Informationstafel, die mit dem Rücken zur Bucht angebracht war. Ihr einziger Anhaltspunkt war eine Postfachnummer, also suchte sie die Karte nach dem Postamt ab. Sie hatte Glück: Es war direkt um die Ecke.
    Hier und da waren ein paar Einheimische unterwegs, die spazieren gingen, joggten oder Rollschuh liefen, um die frische Luft zu genießen. Auf einem kleinen Freizeitgelände direkt am Wasser warf ein Mann für seinen herumtollenden Labrador Stöckchen und etwa zehn Leute spielten Volleyball über ein wackeliges Netz, das einfach in den Boden gerammt war. Weiter links lungerten ein paar Teenager auf einem Konzertpavillon herum. Unterbrochen wurde die sommerliche Stille lediglich durch das Hämmern bei den Bauarbeiten an einem nahe gelegenen Haus.
    Die Stadt war groß genug, um ein Zentrum mit interessant aussehenden Läden, einem Theater und einem Museum zu besitzen. Nicht nur entlang der Küstenstraße standen die traditionellen, schindelbedeckten Häuser, sondern bis ins landwirtschaftlich genutzte Hinterland hinein. Daneben gab es in dieser Stadt neue Apartment- und Mehrfamilienhäuser. Anscheinend wurden auch gerade einige Straßen erneuert. Amy sah zu, wie Arbeiter Straßenlaternen und Wegweiser gegen hübsche, altertümliche Nachbildungen austauschten.
    Alles passte. Amy fühlte sich wohl hier – nicht zu Hause, aber sie hatte das starke Verlangen, mehr über Patchogue zu erfahren, ein bisschen zu bleiben, sich die Sehenswürdigkeiten anzuschauen …
    Zum Glück hatte sie den ganzen Tag zu ihrer freien Verfügung. Während der letzten Jahre war ihr Leben so geregelt gewesen: zur Arbeit gehen, mit Justin zusammen sein, immer zuverlässig und vernünftig sein, sich eine Zukunft in einem vertrauten Umfeld aufzubauen und nie infrage zu stellen, dass sie das Richtige tat – das, was man von ihr erwartete.
    Und jetzt? Jetzt war es so, als hätte das Leben einen Schritt voran getan, sich vor ihre schuhlosen Füße gekniet und den Teppich der Alltäglichkeit unter ihr weggezogen. Sie würde ihr Bestes geben, dachte Amy und marschierte den heißen Bürgersteig entlang.
    Beim Betreten der Post stellte sie fest, dass niemand im Raum war, bis auf ein Kind, das auf einer Bank saß und einen Comic las. Als der kleine Junge Amy sah, senkte er sofort das Heft und kam auf sie zugehüpft. Sein Gesicht war übersäht mit Sommersprossen, und die braunen Augen lachten sie

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