Alle meine Schuhe
wieder geküsst, dreimal und ziemlich feucht, linke Wange, rechte Wange, linke Wange. Und dann deutete er mit dem Kopf Richtung Bach!
Ich muss zugeben, dass ich einen Moment gebraucht habe, um mir klar zu werden, wie ich darauf reagieren sollte. Der arme Gabriel muss gedacht haben, ich wäre von Gefühlen überwältigt, denn er hat mich immer nur weiter mit diesen lüsternen Augen angesehen (können Augen lüstern sein, Amy? Gabriels haben mir diese Frage hinreichend beantwortet – sie können es verflixt gut) und wartete darauf, dass ich zum Bach ging.
Nachdem ich mich wieder gefangen hatte, zog ich Gabriel zu mir hin, küsste ihn dreimal, linke Wange, rechte Wange, linke Wange und legte den Kranz um die Stelle, an der Leute normalerweise ihren Hals haben. In Gabriels Fall stülpte ich den Kranz über seinen Kopf und legte ihn auf diese gewaltigen Schultern. Dann flüsterte ich ihm ins Ohr: »Weißt du was, mein Schatz? Mein Kranz ist schon vor sehr, sehr langer Zeit den Strom hinabgeschwommen – er dürfte mittlerweile die halbe Strecke nach Amerika hinter sich haben!« Und er stand einfach nur da, wie vor den Kopf geschlagen! Das war wahrscheinlich das seltsamste Gespräch meines ganzen Lebens!!!
Ich sollte ihm wohl dankbar dafür sein … und ich war ihm EHRLICH dankbar dafür, dass er mich zu diesem Ball mitgenommen hat. Das meiste daran war schließlich ziemlich abgefahren, und ich habe tolle Leute getroffen, denen ich sonst nie im Leben begegnet wäre – das war ein echter Gewinn. Und ich habe noch mehr gelernt: Dass es möglich ist, auf einem Ball in einem Landhotel Wurstgulasch serviert zu bekommen – was sehr aufschlussreich war. Und ich weiß jetzt auch, dass man nie das kleine Schwarze anziehen darf, wenn man hundertjährige Kerle zum Breakdance animieren will. Und seien wir ehrlich, Amy – wer möchte das nicht?
Pass auf dich auf, Kleine, und melde dich. Viel Glück bei deiner Sohlensuche!
Debs xxxxxx
Lachend schickte Amy sofort eine Antwort.
Von: Amy
An: Debs
Thema: Re: Like a Virgin!
Und, wenn ich fragen darf, wirst du ihn wieder sehen? Schäm dich, mir das nicht zu erzählen!
Amy xxx
Sie musste nicht lange auf Debbies Antwort warten. Kaum hatte sie sich ein Glas Wasser aus der blitzblanken Eiche-Granit-Küche geholt, (die aussah als würde sie ausschließlich dafür benutzt, um Fotos für Magazine zu machen), da blinkte auch schon Debs Antwort in ihrer Mailbox.
Von: Debs
An: Amy Marsh
Thema: Kehr vor deiner eigenen Tür, Madame!
Ob ich ihn wieder sehe? Wahrscheinlich – und wenn es nur wäre, um seine Kumpels wieder zu treffen und noch mal diese Bauchmuskeln zu fühlen – aber vorher muss ich den polnischen Kalender checken! Möchte nicht noch mal mit irgendwelchen Sommersonnenwende-Kranzwerf-Spielchen konfrontiert werden!
Pass auf dich auf, Süße
D. xxxxx
16. Kapitel
A m nächsten Tag ließ Alice Hewitt – den sich Amy mittlerweile in den schillerndsten Farben vorstellte – auf sich warten. Ihr Hintern wurde immer tauber, je länger sie auf der Holzbank saß, die sich entlang der Wand im Postgebäude erstreckte. Sie war seit acht Uhr früh hier, nachdem sie zwei Stunden zuvor in Sergeis blitzblanker Küche gefrühstückt hatte, und wurde allmählich hungrig. Ihr Magen knurrte so laut, dass sie husten musste, um das Geräusch zu übertönen.
Donna hatte erfolglos versucht, sich bei Amys Anblick nicht zu amüsieren, und gesagt, wenn es nach ihr ginge, könne Amy die ganze Woche dort sitzen, so lange sie nicht anfing zu pfeifen, die Wände bemalte oder die Kunden anpöbelte.
Zehn Uhr, elf Uhr …
An der gegenüberliegenden Wand reihten sich die Postfächer wie Spinde in einer Turnhalle. Regelmäßig schauten Leute rein, um ihre Post in Empfang zu nehmen und welche abzuschicken. Niemand von ihnen ging zum Fach Nummer 8373. Gegen Viertel nach elf musste sich Amy zurückhalten, um nicht den behaarten Radfahrer ins Kreuzverhör zu nehmen, der die Frechheit besaß, Fach Nr. 8375 zu öffnen. Sie fixierte Fach 8373 derartig, dass ihr bald alles vor Augen verschwamm. Außerdem bekam sie Kopfschmerzen.
Drüben an der Theke kannte Donna die meisten Kunden mit Namen. Amy war überrascht von dem zwanglosen Umgangston, dem vielen »bitte« und »danke«, dem Austausch von Neuigkeiten und Plaudereien über das Wetter oder die Nachbarn. Donna schien eine Art städtische Institution zu sein. »Na, Arthur, wie geht’s dem Bein deiner Mutter?«, »Hat deine
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