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Alle Orte, die man knicken kann

Alle Orte, die man knicken kann

Titel: Alle Orte, die man knicken kann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
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den Niedergang des spanischen Weltreichs beschleunigte. Unter den Arkaden gibt es Toreropüppchen zu Höchstpreisen. Die Tourismusbehörde hat vor zehn Jahren einen Wettbewerb ausgeschrieben für die beste Antwort auf die Frage: «Warum soll man diesen Platz besuchen?» Die Ausschreibung soll fortgesetzt werden, bis jemandem etwas eingefallen ist.
    Puerta del Sol.  Für diesen Platz soll der «Warum nur, warum?»-Wettbewerb beginnen, wenn das Mayor-Preisausschreiben beendet ist. Ratlose Touristen stehen vor dem alten Postamt, das leider doch nicht der Königspalast ist. Mangels anderer Motive fotografieren sie die Tío-Pepe-Werbung und suchen im Pflaster den Null-Kilometerstein, von dem aus sternförmig ein paar verpestete Straßen ausgehen, darunter zwei schäbige Fußgängerzonen. Die Einheimischen kommen allenfalls zu Silvester hierher, und auch dann nur ungern. Das Reiterstandbild, meist eingerüstet, stellt Karl   III. dar, der sich vergeblich bemühte, Aufstände in den Kolonien niederzuschlagen. Ein Denkmal zeigt das Wappen Madrids: einen Bären, der sich zu einem hochgezüchteten Erdbeerbaum reckt, heute Symbol eines ortsansässigen Gen-Konzerns.
    Palacio Real.  Im Königspalast haust die über Unterwäsche, Kokain und Seitensprünge zerstrittene monarchische Familie. Eigentlich war die Monarchie in Spanien bereits vor achtzig Jahren abgeschafft. Der große Diktator General Franco führte sie wieder ein und suchte sich Juan Carlos de Borbón als König aus. Der verzichtete nach Francos Tod 1975 zwar auf die Diktatur, blieb aber König im noblen Palast. Eine Anzahl von Gemächern mit Stuck, Tapisserien, Brokat, Porzellansammlungen und Rentnerplunder ist zu besichtigen. Bürger der Europäischen Union,deren Steuergelder den Palast aufrechterhalten, haben mittwochs freien Eintritt.
    Prado.  Der «stickigste Schlafsaal der Malerei» . (Salvador Dalí) ist immer noch schlecht belüftet. Müffelnder Staub nistet in den Wandgeweben. Die Müdigkeit stammt jedoch auch von der Hängung der Barockwerke, denen das Haus seinen Spitznamen verdankt: «Museo de Jamon», Schinkenmuseum. Die meistumlagerten Schinken (15   000   Besucher pro Tag) befinden sich in der ersten Etage: Velázquez und Goya. Ausgewiesene Kenner wie Joan Miró empfahlen den Besuch der Säle am Montag, «denn dann ist geschlossen, und man kann sich ohne schlechtes Gewissen sonnen». Das gilt auch für das nahe und ähnliche
Museo Thyssen-Bornemisza
, leider jedoch nicht für das
Centro de Arte Reina Sofia
mit Miró-Werken, das boshafterweise montags geöffnet hat.
    Escorial.  Der festungsartige Palast eine Stunde nördlich von Madrid war das erklärte Lieblingsbauwerk von General Franco. Ihm gefiel der Ausdruck von Macht und Einschüchterung. Er nannte das Bauwerk «die schönste Strafanstalt der Renaissance». Ganz falsch ist das nicht. Der hermetische Bau diente allerdings vorwiegend der Selbstbestrafung – vor allem dem mönchischen König Philipp   II., der sich nach Armada-Untergang und folgendem Staatsbankrott hierher zurückzog. Der greise Juan Carlos hat den Escorial zum Nationalsymbol erklärt. Der Staat sei abermals bankrott, werde aber «bis zuletzt die Fenster dieses Palastes putzen lassen». Davon gibt es genau 2673.   Die Putzer sind illegale Immigranten aus Marokko.
    Toledo.  Das zweite in einer guten Stunde erreichbare Ausflugsziel war im Mittelalter Spaniens Hauptstadt. Jetzt hat es so viele Einwohner wie Lüneburg und gibt sich Mühe, mit den Resten von Burgen und Klöstern all die Touristen zu locken, die von Madrid frustriert sind. In den Gassen werden importierte Keramikenund Fliesen («Azulejos») als garantiert echt verscherbelt. Ferner gibt es Postkarten, Leder und «Marzipan», eine zähe Zuckermasse, die in Iberien seit tausend Jahren zum Zähneziehen benutzt wird.
    So wird man lästige Mitreisende los
    Im Retiro Parque.  Der berühmte Seufzer «Madrid me mata» . (Madrid bringt mich um) wird an vielen Stellen der Stadt unversehens Wirklichkeit. Unserem lästigen Mitreisenden empfehlen wir den Parque del Buen Retiro oder kurz Retiro. «Sieh dir den See an, auf dem wurden einst Seeschlachten nachgestellt, besonders der Untergang der Armada. Herrlich ist auch der Kristallpalast, und dahinter sind idyllische stille Wege, in denen man sich wie im Paradies fühlt.» Vielleicht klappt es.
    Auf dem Zebrastreifen.  «Da ist ein Zebrastreifen! Geh schon mal rüber!» Dem guten Tipp fallen jedes Jahr aufs Neue naive Reisende

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