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Alle Orte, die man knicken kann

Alle Orte, die man knicken kann

Titel: Alle Orte, die man knicken kann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
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kosten, sind sie an heißen Tagen gut besucht, zumindest außerhalb der Gottesdienstzeiten. Reisende verzehren hier ihr Mitgebrachtes in den Bänken und geben vor, die Deckengemälde großartig und die Skulpturen ausdrucksvoll zu finden. Eine biologische Schutzfunktion des Gehirns sorgt für das sofortige Vergessen des Gesehenen beim Hinausgehen. Bei
Santa Maria della Salute
reicht es nach Ansicht von Gelehrten, sie einfach nurliegen zu sehen: dem Dogenpalast gegenüber auf der Inselspitze. Die
Frari-Kirche
enthält ein paar Kunstwerke, die ohne Hinweis im Reiseführer niemandem auffallen würden. Und in
San Zanipolo
(Giovanni e Paolo) sind Dogengräber zu sehen. In den anderen Kirchen nicht einmal das. Sie dienen ausschließlich als Jausenstationen.
    So wird man lästige Mitreisende los
    Einen Treffpunkt verabreden.  «Wir sehen uns in genau einer Stunde bei der
Scuola San Rocco
!» Wer diesen Satz ausspricht, hat den Rest des Tages frei. Selbst mit einem satellitengesteuerten Display findet der oder die lästige Mitreisende niemals zur bedeutenden Tintoretto-Sammlung
Scuola San Rocco
. Mit dem Stadtplan schon gar nicht. Jeder andere Punkt tut es auch. Verirren ist garantiert. Optimistisch Loswandernde meinen anfangs, die Abzweigungen im Gedächtnis zu behalten und die Abfolge von Gassen, Brücken und Hohlwegen wiederzuerkennen. Nach langem Suchen, am Rand eines brackigen Seitenkanals, ist Schluss mit dem Optimismus. Fast alle spontanen Übernachtungen in Venedig kommen zustande, weil die Gäste nicht mehr aus dem Labyrinth finden. Wer richtig Pech hat, wird von einem spukenden Zwerg mit roter Mütze und Beil zur ewigen Ruhe gebettet.
    Tauben füttern.  Zum Preis eines Burgers kann man am Markusplatz einen Beutel Taubenfutter kaufen. Wer Hunger hat oder einen Mitreisenden loswerden will, scheut die Ausgabe nicht. «Du bist doch so tierlieb, Tante Dorothee! Hier hast du eine Tüte Futter.» In die Hand drücken, Tüte öffnen, Futter auf Dorothees Handstreuen, rasch fortgehen. Alfred Hitchcock bekam am Markusplatz die Idee für seinen Film
Die Vögel
. Dort fallen Krähenschwärme mit Hackeschnäbeln über Menschen her. Die Tauben hier picken nur. Sie tragen interessante Sorten von Milben, Zecken, Parasiten mit sich, die sie nun auf Tante Dorothee abladen – von farblich faszinierenden Klecksen zu schweigen. Kamera anwerfen. «Sieht echt gut aus!»
    Gondelfahren.  Kenner, erzählen wir unserem lästigen Mitreisenden, fahren mit der Gondel. Nicht mit der Touristengondel, bei der man auf einem Bänkchen sitzt, während der Gondoliere nur gegen hohe Schweigesummen vom Singen abzuhalten ist. Nein, Kenner nehmen die Fährgondel. Man sieht das gelegentlich. Fährgondeln sind daran zu erkennen, dass die Passagiere sich stehend übersetzen lassen, niemals unsportlich sitzend. Während die Touristenfahrten mit zwei Euro pro Minute zu Buche schlagen, kosten die Taxigondeln grundsätzlich nur zwei Euro. Man teilt die Überfahrt mit anderen. «Das ist ein authentisches Erlebnis!» Besonders das Stehen stellt den Gleichgewichtssinn des Neulings auf die Probe. Die Lagune ist nicht tief, aber schlammig. Wer daraus hervorgezogen wird, riecht nicht gut. Nie mehr.
    Typisch Venedig
    Nachahmungen.  Den größten Umsatz mit Souvenirs machen nicht die Ladenbetreiber auf der Rialtobrücke, sondern die Afrikaner, die Designerwaren in den Gassen verkaufen, meistens mit Expertise. Schlechte Fälschungen, aber als Mitbringsel für Eltern und Geschwister gut genug. Ähnliches gilt für die Masken und Kostüme, die es für ganzjährig Karnevalsblinde gibt. Und erst rechtfür die Glaswaren aus Murano, die vor den Augen der Betrachter hergestellt werden: ein Vögelchen, Pferdchen, Blümchen, ein Lolli aus Glas. Was niemand braucht und keiner haben will – auf dieser Ausflugsinsel wird es geblasen. Kenner kaufen am Airport die Rialtobrücke aus Plastik oder gleich mit Gondel in einer Glaskugel mit Schneeflocken.
    Aroma.  Bis vor zwei Jahren hieß es noch, Venedig stinke lediglich bei gutem Wetter. Nur in der Wärme entfalte der von den Einwohnern in die Kanäle entsorgte Müll sein volles Aroma. Seit jedoch die öffentlichen Toiletten kostenpflichtig sind und einen im Web gebuchten Voucher erfordern, stinkt es überall und immerzu. Italienische Duftdesigner haben im vergangenen Jahr den venezianischen Duft analysiert und in Gläser abgefüllt. Sie kamen auf eine spezifische Mischung aus Fäulnis und Schimmel, Taubeninfekt und Rattenschiss,

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