Alle Orte, die man knicken kann
sie? In Maßen. Sozialneid ist nichts Amerikanisches. Aber wer aus dem alten Europa kommt, kann diese energetisierende Regung bei sich aufkeimen spüren.
Hubschrauberflug. Wo Touristen sind, gibt es Nepp. Wer mit Kindern auf einen Spielplatz im Central Park gerät, kann gar nicht so schnell nachzahlen, wie die Kleinen kostenpflichtige Karussells, mehrstöckige Rutschen, Eisbuden und Abenteuerkrimskrams plus Fun-Foto ausprobieren. Ein bleibend erfolgreicher Nepp sind die
Helicopter Flights
. Sie starten Downtown direkt am Hudson. Wartezeit zwei bis drei Stunden, wenn man nicht gebucht hat. Geht aber übers Internet: Zeitfenster reservieren, Antwort abwarten, Kreditkarte ist schon mal belastet mit siebzig Euro pro Person, wunderbar, dann nochmal anrufen und Flug bestätigen. Security Checks wie am Flughafen, keine Taschen an Bord. Für einen professionellen Fotografen lächeln. Und an Bord des betagten Helis die Fensterplätze links erobern. Wollen alle. Flugdauer ungefähr zehn Minuten. Keine eigenen Kameras bitte. Der Pilot leiert seine Infozeilen herunter. Und so sieht Manhattan von oben aus. Aha, tatsächlich so wie im Web. Eine Runde. Und Landung. Das Foto «Porträt mit Hubschrauber» ist inzwischen fertig, kostet nur dreißig Dollar. Als Datei fünfzig. Google Earth ist natürlich billiger und sicherer, klar. Aber da fehlt der Thrill, der hier mitfliegt. Bei dem ungeregelten Kleinflugverkehr überm Hudson geschieht es ja immer wieder, zum letzten Mal 2009, dass ein Heli mit einem Privatflugzeug zusammenstößt. So ein Kitzel fehlt bei Google Earth. Und für Kitzel muss man zahlen.
Unverdauliche Landesspezialitäten
Es gibt keine unverdaulichen Speisen in New York. Alles ist verdaulich. Sogar dermaßen leicht verdaulich, dass es überhaupt nicht verdaut zu werden braucht. Es bleibt einfach liegen in den unendlichen Schlingen der Eingeweide. Pancakes, Donuts, Bagles, Muffins, Pizza, Hot Dogs, Finger Food, Sandwiches, Wraps, Burger. Das klumpt einfach zusammen. Wer sich nur eine Woche in New York aufhält, kann getrost ein Zimmer ohne Klo buchen, es sei denn, er muss kotzen. Wer mal pinkeln muss, begibt sich in den Apple Store in der Prince Street in SoHo. Da kann auch gleich kostenlos Wasser nachgefüllt werden. Alle Reisenden schrauben ihre Ansprüche an Verpflegung in New York radikal herunter. Sie schlagen sich mit trübsinnigen Happy Hours und pampigen Buffets durch. Sie gehen, weil es der Führer empfiehlt, zu
Katz’s Delicatessen
, wo Harry und Sally flirteten, und begreifen allerspätestens hier, dass Delikatessen oder Deli überhaupt nichts mit delikat oder auch nur wohlschmeckend zu tun haben. Im Gegenteil. Wer gut essen will, nur ein einziges Mal, muss sehr viel Geld ausgeben und sehr viel Zeit mitbringen. Feinschmecker freuen sich auf zu Hause.
Das reicht für das Expertengespräch
Der Autor Max Frisch lebte Anfang der achtziger Jahre in New York und äußerte: «Ich hasse es, ich liebe es, ich hasse es, ich liebe es.» Diese Äußerung macht sich auch heute noch gut im Gespräch und lässt Sensibilität ahnen, wenngleich sie nicht mehr ganz zutrifft. Ständig hin und her gerissen ist man in Manhattan nicht mehr. Die Spannungen sind viel geringer geworden, die Amplitude ist flacher.Das hängt mit dem Thema zusammen, das zum Stirnrunzeln und besorgten Abwägen bestens geeignet ist: Gentrifizierung. Nein, wir kommen gerade aus New York, also:
Gentrification
. «Ein sehr bedenklicher Prozess!», reicht als Anschubformel für eine lebhafte Diskussion. Die Aufwertung ehemals brüchiger Gebiete ist problematisch. Nein: hochproblematisch! Wir können beitragen: «Die einkommensschwächeren Schichten werden verdrängt, ist ja auch in unseren Städten im Gange; wohin das führt, kann man in New York sehen.» Hoffentlich müssen wir nicht ins Detail gehen. Aber normalerweise befinden sich Leute in der Runde, die New York noch aus der aufregenden Zeit kennen, aus der Frisch-Epoche, als es in Downtown und in der Upper West Side noch jede Menge schäbige Viertel gab. Das war die knisternde Zeit. Auch die Zeit des Drogenhandels und der Beschaffungskriminalität. Die Mordrate ist jetzt auf einen beschämenden Tiefpunkt gesunken, wie es ihn zuletzt Anfang der biederen sechziger Jahre gab: nur sechs Morde pro hunderttausend Einwohner. Das ist weniger als auf den idyllischen Seychellen. «Kann da noch Kunst gedeihen?», fragen wir in die Runde. «Ist das noch ein kreatives Umfeld? Lohnt sich da überhaupt noch
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