Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
Vom Netzwerk:
überhaupt mitbekommt.
    Ist das wichtig? fragte Tatjana. Es ist dein Spiel.
    Du bist so klug, sagte Mercedes und verzog den Mund.
    Sie kaufte einpaar schwarze Männerhemden (Was ist eigentlich deine Kleidergröße?) und trug sie als Nachthemden. Damit immer etwas im Wäschekorb ist.
    Die perfekte Verbrecherin, sagte Alegria. Ich bin stolz auf dich.
    Es sah so aus, als würde der Frieden diesmal eine Weile halten.

Das Leben in den Bergen und auf hoher See
    »Er hieß Gavrilo, Gábor oder Gabriel, bei seiner Geburt steckte er den Kopf ins neue Jahrhundert. Kleine Übertreibung, ein bisschen früher war es schon, sonst wäre er noch zu jung gewesen für den Krieg. Seiner Verlobten schrieb er roséfarbene Feldpostkarten über gar nichts, sein einziges nennenswertes Erlebnis schien es gewesen zu sein, als wir in der Hitze unter den Orangenbäumen lagen, halb verdurstet, und es bei Todesandrohung verboten war, die verdammten Dinger zu pflücken. Er kehrte heim, heiratete, ein Bauer unter Bauern, zeugte drei Töchter, und es gibt keine Erinnerung daran, dass er je etwas Denkwürdiges gesagt hätte. Aber als der nächste Krieg ausbrach und er einberufen wurde, ein fast vierzigjähriger dreifacher Familienvater, versteckte er sich in den Bergen.
    Ich weiß nicht, wo er ist, sagte seine Frau, zwischen den Hügeln des aufgetürmten Hausrats auf dem Hof. Ruhig, als wäre nicht das Unterste zu oberst gekehrt. Angeblich seit Monaten nicht mehr gesehen.
    Und von wem hast du den Bauch, Hure? fragte der Offizier zwischen zwei Ohrfeigen. Er prügelte auf sie ein und vergewaltigte sie schließlich, bevor er sie, anstatt sie zu töten, doch freiließ. Während er oben, bei seiner Schönen, der Natur, war und aus klaren Quellen trank. Da war ich wohl doch wütend auf ihn geworden, sagte sie später.
    Als sie drohten, das Haus einzureißen, erwies sich der hinkende Dorftrottel, der kein Trottel war, nur ein klumpfüßiger Alkoholiker, als der einzige Mann im Dorf.
    Ohne dazu aufgefordert worden zu sein, trat er auf und behauptete, das Kind im Bauch meiner Großmutter sei von ihm.
    Wenn das kein Grund zum Feiern ist, sagte der Offizier und flößte dem Trottel eine ganze Flasche Sechzigprozentigen ein. Er wäre fast gestorben, aber er starb nicht. Er überlebte und blieb bei meiner Großmutter und ihren mittlerweile vier Töchtern auf dem Hof. So hat der Hinker unseren Hof und unser Leben gerettet, zumindest für die nächsten paar Jahre. Meine Großmutter nannte ihre jüngste Tochter liebevoll Hürchen und zwang sie, ihr Erbrochenes zu essen, aber das kann auch die damalige Erziehung gewesen sein.
    Als das Kriegsende nahte, begab sich Gavrilo in tiefere Lagen. Mehrere wollen ihn gesehen haben, er trieb sich in der Nähe des Dorfes herum, aber endgültig zurück zu kehren, dazu konnte er sich scheinbar nicht entschließen. Ihm war ein Geweih gewachsen, oder man weiß es nicht, er konnte, nachdem er am ersten Winter, der besonders hart war, nicht krepiert war, scheinbar einfach nicht mehr zurückkommen. Seit dem Verhör durch den Offizier hatte ihn weder seine Frau noch sonst jemand aus der Familie in den Bergen besucht.
    Jahre vergingen, er ist zu so etwas wie einem Berggeist geworden, zum Alten Mann, den man in Vollmondnächten über den Grat wandern sieht. Papiere hatte er längst nicht mehr, statistisch gab es ihn gar nicht. Im Krieg verschollen. Hinkebein nahm seinen Platz in der Familie ein, das lief reibungslos, abgesehen natürlich davon, dass er weiterhin Alkoholiker war, und außerdem reicht eine gute Tat im Leben für einen Tag Urlaub aus der Hölle. Mehr verlangt ein Hinkebein gar nicht.
    Gavrilo in den Bergen schien auch zufrieden damit zu sein, was ihm zugefallen war. Er hungerte und fror und musste ab und zu Menschen und größeren Tieren aus dem Weg gehen, aber ansonsten fehlte ihm nichts. Die Nachricht von der Gründung des neuen Staates erreichte ihn offenbar mit einigen Jahren Verspätung, vielleicht machten ihm auch die Grenzpatrouillen dort oben Ärger, oder es gab überhaupt keinen direkten Auslöser, jedenfalls kam eines Tages unerwartet ein Brief von ihm. Er war mit Kohle auf ein Stück schmutzigen Karton geschrieben. Der genaue Wortlaut lässt sich nicht rekapitulieren, die Kriegswitwe benutzte ihn umgehend, um das Feuer im Herd zu entfachen, aber im Wesentlichen ging es darum, dass mein Großvater Gavrilo, auf welchem Wege auch immer, Anarchist geworden war. Nieder mit der Polizei, dem Militär, dem Parlament, der

Weitere Kostenlose Bücher