Alle Tage: Roman (German Edition)
dich nicht so an, sagte Konstantin im Sinne des panslawischen Gedankens.
Der panslawische Gedanke kann mich mit hundert Zungen am After lecken. Sieh an, wenn es darauf ankommt, kann ich Gedanken haben. Aber das war nur ein kurzer Moment. Gleich danach funktionierte Abels Gehirn wieder normal, und er begann einzelne Wörter, Syntagmen, später ganze Sätze zu verstehen. Ja, das ist so. Manchmal dauert es eine Weile, aber mit der Zeit kann ich jeden irgendwie verstehen. Das Abenteuer, übersetzte er Konstantin. Das Abenteuer habe die drei hierher geführt. Außer ihrer Muttersprache sprachen sie nichts, die einzigen Fremdwörter waren die Namen von Musikgruppen, die Konstantin und Abel nicht kannten. Später schimpfte Konstantin sehr auf die drei. Das war ein schwerer Fehlgriff gewesen. Das Abenteuer, pah! Sie haben den ganzen Speck und alle Eier aufgegessen und die Milch bis auf einen Schluck ausgetrunken. Das raubte ihm einigermaßen die Lust an dem Ganzen, und es wurde wieder etwas ruhiger.
Später waren Jahresendferien, und sie wurden in etwas verwickelt, was dem Großen Einliegen (Pal) ein für allemal ein Ende bereiten sollte.
Eka
Wie lange bleibst du weg? fragte Konstantin Pal, der sich mit erstaunlich viel Gepäck in die Feiertage begab.
Geht dich nichts an, sagte Pal.
Das vierte Weihnachten, das wir fern von unseren Lieben miteinander feiern, sagte Konstantin feierlich zu Abel. Letzterer sah keine Veranlassung, die Arbeit zu unterbrechen. Zu dieser Zeit beherrschte er sieben Sprachen perfekt und laborierte an weiteren dreien.
Was ist das Limit? fragte Konstantin. Der Sternenhimmel? Ich frage mich, was es ihm nützt, wenn er doch mit keinem redet.
Auf dem Bahnhofsvorplatz machte sich das übliche Weihnachten breit, schneelos und windig, in den Verschlingungen der Bastille pfiff und orgelte es Tag und Nacht. Konstantin stand am Fenster und sah dem sogenannten Treiben zu, Abel, wie er, ohne das Tempo ein einziges Mal zu ändern, Slalom zwischen Menschen und Tüten lief. Eine abgerissene Girlande trieb vom Weihnachtsmarkt herüber auf ihn zu, aber er war schneller, sie verfehlte ihn um Zentimeter, Konstantin seufzte.
Als Abel dann am frühen Morgen des nächsten Tages, oder des übernächsten, jedenfalls kaum, dass Pal den Fuß aus der Tür gezogen hatte, nach Hause kam und die gemeinsame Küche betrat, stand dort eine unbekannte Schwarze Madonna mit einem riesigen Knaben auf dem Arm. In einem kleinen Topf stand warmer Brei auf dem Herd, sie kostete ihn gerade mit einem Holzlöffel. Für einen Moment dachte er, er hätte sich in der Wohnung geirrt. Wäre das möglich?
Entschuldigung, sagte er.
Die Madonna ließ den Kochlöffel fallen. An ihren Lippen blieb der Brei kleben. Jesuschristusimhimmel, sagte sie in ihrer Sprache und starrte den Mann in der Tür an. Alles an ihm war schwarz: die Haare, die Kleidung, der ganze Mund. Zunge, Zähne. Jetzt sind sie gekommen, uns zu holen.
Entschuldigung, sagte Abel noch einmal und hielt die Hand vor die dunkle Höhle. Standen so da: er seinen Mund verdeckend, sie mit Brei am Mund, das Baby danach greifend. Es schlug kräftig zu, die Zähne der Mutter klapperten.
Verzeihung, murmelte Abel und ging rückwärts aus der Küche. Er putzte sich lange die Zähne. Grauer Schaum, zwischen liegen gebliebenen Bartstoppeln das fettüberzogene Waschbecken hinabkriechend. Danach saßen die Zähne in kleinen schwarzen Kelchen und glänzten bläulich.
Sie nannte sich Maria. Nachdem sie den ersten Schreck überwunden hatte, lächelte sie freundlich. Das Baby schaute gleichgültig bis feindselig drein.
In Wahrheit, sagte Konstantin, heiße sie nicht Maria, sondern Eka. Nur in ihrem Pass stünde Maria. Das heißt, im Pass ihrer Schwester stünde Maria. Es sei der Pass ihrer Schwester.
Eka nickte und wiederholte es. Abel merkte sich das georgische Wort für »Schwester«. Sie selbst hätte keinen Pass bekommen. Wir sehen uns doch ähnlich?
Nein. Dazu die acht Jahre Altersunterschied und dass Eka hier, obwohl schon zwanzig, aussieht wie eine Dreizehnjährige. Runde Augen, Zöpfe bis zur Hüfte, man hat das Gefühl, das Baby ist halb so groß wie sie. Konstantin hatte sie nicht gefunden, sie war von alleine gekommen, jemand hatte ihr die Adresse gegeben. Stolz: Man kennt mich schon.
Eka ist auf der Suche nach ihrem Mann, informierte Konstantin. Er hat das Baby noch nicht gesehen. Sie hat ihm bei jemandem eine Nachricht hinterlassen: Warte da und da auf dich. Der Mann heißt
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