Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
Vom Netzwerk:
Lieblingsstofftier auf einem gigantischen Wickeltisch liegt. Sie kam zurück. Ich war mir sicher, dass sie sich für mich umziehen oder nackt zurückkommen würde. Doch sie sah genauso aus wie vorher, roch aber leicht nach Zigarette. Jetzt sah ich ihre Tätowierungen besser. Aus dem knappen Netzhöschen heraus, über Leisten und Bauch hinweg nach oben wucherten tropische Pflanzen mit roten und auch weißen Blüten, was auf der schwarzen Haut einen erstaunlichen Effekt hatte. Da eine gelbe Schlange, züngelnd, da ein Schmetterling, da eine reife, aufgebrochene Frucht. Ihr BH bedeckte die Brüste nur spärlich, trug sie eher. So kam sie auf mich zu, setzte sich zu mir auf die Bettkante. Schwer lagen ihre dunklen Brüste in diesen zwei Körbchen aus durchwirkter Spitze. Das gefiel mir. Sie drehte mir den Rücken zu: »Mach ma auf!« Ich öffnete geschickt den kleinen Haken und die Träger glitten über ihre glatten Schultern hinunter. In Schönschrift stand unmittelbar über den üppigen Pobacken ein tätowiertes Wort, die Buchstaben eigenartig verdreht, unlesbar:. Sie drehte sich zu mir. Jetzt sah ich das ganze Bild: Bis knapp unter ihren Busen wucherte der tätowierte Dschungel. In den Baumkronen saßen Papageien, und über ihre Brüste hinweg entfalteten, in einer wahrhaft überwältigenden Farbexplosion, exotische Vögel ihre Flügel. Sie verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf und sagte: »Schön, ne?« Die langen Federn der Paradiesvögel reichten bis über die Schulterkuppen zu den Oberarmen. Die Farben waren gleichzeitig prächtig und matt, durch das Dunkle ihrer Haut gedämpft. Ein Dschungel bei Nacht. Ihre Brustwarzen sahen allerdings eigenartig aus. Komisch verlaufen wie die Uhren auf dem berühmten Dalí-Gemälde.
    »So, dann wolln wa ma.« Sie zog mir ein Kondom über, setzte sich auf meine Beine, die Wärme ihres Hinterns auf meinen Knien, beugte sich vor und rieb und rubbelte mit ihren Brüsten an mir rum. Im Spiegel über mir sah ich ihren Rücken, die einzelnen Wirbel, ihre schmale Taille – und auch das Wort. Jetzt konnte ich es auf einmal lesen:. Ich lag mit dem Kopf neben dem Panther, der so ähnlich roch wie unser Hund, und beobachtete sie beziehungsweise uns. Sah, wie die Paradiesvögel um meinen Schwanz flatterten. Doch erregt war ich nicht. Ich spürte nichts! So, als hätte ich eine örtliche Betäubung bekommen, fand es aber hochinteressant. Nach einer Weile sagte sie: »Mein Jung, ich glaub, das wird heut nichts mit uns zwein.« »Och, nich so schlimm«, antwortete ich und stand eilig auf. Ich verhedderte mich in meiner Unterhose. Ohne dass ich sie danach gefragt hätte, sagte sie »Ich heiße Blanche!«, und dann schnappte sie zweimal mit den Zähnen in die Luft. Ich fragte sie: »Und, woher kommst du?« Fast melancholisch antwortete sie: »Von hier. Aus Harburg.« Ich zog mein T-Shirt an, dann die Jeans. »Äh … und mein Geld?«, fragte ich. »Das lässt du ma schön hier. Lag ja nich an mir.« Sie nahm den Bullensack vom Nachttischchen und reichte ihn mir herüber. Da hielt sie inne und sah ihn sich genau an. »Was ist das denn? Dein Portemonnaie hat ja Haare.« »Das ist ein echter Bullensack«, erklärte ich ihr. Sie gab ihn mir und sagte leise wie zu sich selbst: »Sachen gibt’s …« Durch eine Hintertür ließ sie mich hinaus. »Na denn, bis zum nächsten Mal. Tschüs.« »Ja, tschüs.« »Hier, Lebensretter, vergiss deine Sporttasche nich.« »Oh ja, danke. Tschüüs!«
    Ich ging ein Stückchen und setzte mich auf die Bordsteinkante. »Mein Gott«, dachte ich, »was ist das für ein beschissener Tag!« Plötzlich hatte ich Sehnsucht nach meinen Eltern, meinen Brüdern, nach meinem Zimmer, danach, den Schlüssel in die Haustür zu stecken und »Hallo!« zu rufen. Wenn ich mich beeilen würde, wären sie vielleicht noch wach. Ich hatte genug von dieser Stadt, den drei sagenumwobenen Hs. Für mich hielt diese Stadt nichts als Niederlagen bereit. Ich wollte nach Hause.
    Ich sprang auf und rannte die Straße entlang. Hetzte, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppen zur U-Bahn hinab und machte mich so schnell es ging auf den Heimweg. Doch es dauerte noch einmal geschlagene zwei Stunden, bis ich endlich im Zug saß und in die Stadt, in der ich aufgewachsen, aber nicht geboren war, heimkehren konnte. Erst gegen Mitternacht würde ich ankommen. Der Zug war leer. Ich zog mir die Schuhe aus, klappte den Sitz hinunter, zog auch den gegenüberliegenden heran, legte meinen von Haaren gut

Weitere Kostenlose Bücher