Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Mußten es wirklich jedesmal zwanzig Millionen Jahre sein? Ob das so in der Dienstvorschrift für Schrankenwärter stand?
Das war überhaupt ein merkwürdiger Beruf, Tag und Nacht Schranken runter- und wieder raufzukurbeln. Und was machte der Wärter in seinem Türmchen, wenn er nicht kurbeln mußte? In der Nase bohren und Comic-Strips lesen? Oder wedelte der sich da oben dann womöglich heimlich einen von der Palme?
In Konfi blubberte Pastor Böker davon, daß Jesus Christus, Gottes Sohn, uns einladen wolle in seine Nähe. Die Liebe Gottes gegen uns, sage die Bibel, sei daran erschienen, daß Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt habe in die Welt, auf daß wir leben sollten durch ihn.
Eingeborener Sohn? Das hörte sich so an, als ob Jesus ein Eingeborener gewesen wäre, mit Knochen im Toupet, Bananengürtel und Missionarskochtopf, aber ich hütete mich, den Böker zu fragen, wie das zu verstehen sei. Der redete auch so schon genug.
Ausnahmsweise durfte die C-Jugend auf dem gepflegten Rasenplatz trainieren, wo sonst die Oberligaspiele stiegen. Mannomann, das war aber was anderes als das Gestocher auf Schlacke! Wie weich und einladend sich das anfühlte, auf Gras, und wie gut das roch! Und dann noch die Tribüne an der Seite! Da konnte man sich fast schon einbilden, wie es wäre, bei einer WM vor ausverkauftem Haus zu einem Jahrhundertspiel aufzulaufen, auch wenn keine Zuschauer da waren und das Hindenburgstadion im Vergleich mit dem Aztekenstadion zugegebenermaßen ziemlich schlapp ausgesehen hätte.
Mit meinem Ball trainierte ich auch bei uns im Garten, wo ich aber darauf achten mußte, daß die Gewächse keinen verplättet kriegten. Ich übte Doppelpässe mit der Hausmauer und dribbelte die Birken aus, und nur wenn’s nieselte oder gewitterte, hörte der Spaß für mich auf. Im Unterschied zu Fritz Walter konnte ich das sogenannte Fritz-Walter-Wetter nicht ab. Da igelte ich mich lieber mit einem fesselnden Schmöker in meinem Zimmer ein, selbst wenn ich den schon auswendig kannte. Die Bücher von Enid Blyton und Astrid Lindgren konnte man immer wieder lesen. Wie Barny, Robert, Stubs und Diana das Rätsel um die verbotene Höhle lösen oder wie Kalle Blomquist dem diebischen Onkel Einar auf die Schliche kommt. Da mochte draußen der Regen pesern, soviel er wollte.
Wenn Tante Dagmars altes Rad mein eigen wäre, wollte ich damit nach Jever fahren. In den Herbstferien vielleicht. Die Entfernung zwischen Meppen und Jever, die ich im Shell-Atlas ausgemessen hatte, betrug rund 120 Kilometer, und in Emden gab es eine Jugendherberge, in der ich übernachten konnte, aber Mama sagte, daß ich eine Schraube locker hätte: »Daraus wird nichts, mein Lieber, und wenn du dich auf den Kopp stellst!«
Dabei war Mama als Jugendliche diverse Male mit dem Rad von Jever nach Oldenburg gefahren, um da ins Theater gehen zu können. Sogar im Krieg! Und ich durfte nicht einmal im Frieden ’ne Radtour nach Jever unternehmen!
Vor Wut wäre ich fast geplatzt, so wie dieser eine Schlagersänger, der für seine Angebetete Blumen gekauft hatte, von seinem letzten Geld, und dann sitzengelassen worden war:
Und weil du nicht bist gekommen,
hab ich sie vor Wut genommen,
ihre Köpfe abgerissen
und sie in den Fluß geschmissen ...
Als Erziehungsberechtigte glaubte Mama offenbar, sie dürfe sich jede Freiheit herausnehmen. Auch die, ihren eigenen Kindern zu verbieten, was sie selbst als Heranwachsende gedurft hatte.
Gegen Frankfurt spielte Gladbach nur 1:1 und fiel auf den dritten Tabellenplatz zurück, hinter Braunschweig und Bayern. Aber denen würden die Fohlen schon zeigen, was ’ne Harke ist, in einer Woche beim Schlagerspiel auf dem Bökelberg.
Renate kam nach Meppen, um ihren Flokati abzuholen. Der Fußboden in ihrem Zimmer in Birkelbach sei eisig.
Was sie über ihre Arbeit erzählte, klang schauderbar. Die Maiden würden da zu verschiedenen Ämtern eingeteilt: Fußbodenamt, Anrichteamt, Ordnungsamt, Wäscheamt, Blumenamt und so weiter, und dann gäb’s noch Unterricht in Wirtschaftslehre, Ernährungslehre, Kochen, Haustechnik, Hygiene, Psychologie, Nadelarbeit, Gartenarbeit, Wäsche und Sport. Gekocht werde immer für hundert Personen. Der schwarze Tee schmecke nach nichts, und abends kriegten sie bloß scheußlichen Hagebuttentee. Zweimal die Woche hätten sie abends Ausgang bis zehn, aber an den anderen Tagen dürften sie nicht weg, nicht mal zum Telefonieren.
Einen Bettvorleger aus Heidschnuckenwolle würden sie jetzt
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