Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
jedes Stäubchen, das sie finden konnten. Mir war völlig neu, daß man benutzte Schußwaffen von innen und außen putzen mußte. Hatte John Wayne das etwa getan? Jedenfalls noch ein Grund mehr, die Dinger gar nicht erst anzufassen.
Wie Georg erzählte, hatte es am Dienstag mal wieder ’ne Keilerei gegeben, zwischen einem Rekruten und einem Gefreiten diesmal, vor der Kantine. Wenn man einen Haufen Männer kasernierte, blieben solche Eruptionen offenbar nicht aus.
Was die Woche außerdem noch brachte, war die sogenannte ABC -Ausbildung in freier Natur. ABC -Alarm, Stahlhelm ab, Schutzmaske auf, Stahlhelm auf, Entwarnung, Stahlhelm ab, Schutzmaske ab, Stahlhelm auf; ABC -Alarm …
Und wehe, einer sagte Gasmaske zur Schutzmaske.
Im Falle X wäre ich mit dieser engen, klemmenden und für Brillenträger ohnehin ungeeigneten Maske nicht weit gekommen. Ebenso nutzlos erschien mir der dünne Poncho, der einen vor dem radioaktiven Fallout von Atompilzen schützen sollte. Damit hätte man auch in Hiroshima nicht überlebt.
Nächste Absurdität: Beim Warnruf »Lichtblitz!« mußte man sich auf die Erde schmeißen, um nicht geblendet zu werden oder sofort zu verschmoren. Als ob von solchen Turnkunststückchen im Atomkrieg noch was abgehangen hätte!
Unter der Leitung des fetten Friedrich stimmte der Chor der Mühseligen und Beladenen abends in der Kantine ein altes Volkslied an: »Wir haben den Kanal, wir haben den Kanal, wir haben den Kanal so hacke-dicke-voll …«
Abhauen durfte man am Wochenende immer erst nach der Revierreinigung und deren Absegnung durch den Unteroffizier vom Dienst, kurz UvD, und der war meistens scheiße drauf. Ein falsches Wort zur falschen Zeit oder ein Staubkorn an der falschen Stelle, und man konnte sich das Wochenende in die Haare schmieren. Alles schon dagewesen.
Ich lief zum »Spieß«, einem knorrigen Feldwebel, um mir Schwämme geben zu lassen. Die Gegenstände, die ich erhielt, hatten allerdings mehr Ähnlichkeit mit Holzspänen. Zu Schwämmen mutierten sie erst im Wassereimer. Das hatte noch keiner von uns gesehen, wie so ein unscheinbares Spänchen sich mit Wasser vollsaugte und zum Schwamm heranwuchs. Ein bißchen so wie der Kristall in der Hand des kleinen Königs Kalle Wirsch in der Augsburger Puppenkiste.
Als der Spieß hereinkam, schnarrte er: »Sie sollen hier nicht ›Schwamm auf‹ spielen!«
Sondern Krieg. Schon verstanden.
Mein einer Schnürsenkel hing links zu weit hinab, beim Bettenbauen hatte ich das Kopfkissen nicht glatt genug gestrichen, und bei der finalen Spindkontrolle mißbilligte der UvD die Statik meines Unterhosenstapels, aber davon ging die Welt nicht unter.
Einer aus dem 2. Zug fuhr jedes Wochenende über Meppen bis nach Emden und war bereit, mich mitzunehmen, gegen BKB . Sanitätssoldat Oldehoff. Ein gedrungener Typ mit einem roten Ausschlag an der Gurgel, an dem er sich nur beim Gangschalten nicht kratzte. Und die Musik! O Gott! Der Kamerad Oldehoff besaß exakt eine Kassette. Auf Seite A befand sich ein menschenunwürdiges, nichtiges und hirnverkohltes deutsches Blödiangeträller, von dem ich mir nicht hätte träumen lassen, daß es das überhaupt geben könne, und auf Seite B ein anders gearteter, aber genauso ruchloser musikalischer Auswurf auf allerunterstem Schützenfestniveau. Wenn die eine Seite abgespult war, drehte Oldehoff die Kassette um, ad infinitum, so daß ich beide Seiten mehrere Male zu hören bekam. Nach der Seite A erschienen mir die ersten Takte der Seite B fast wie ein Ohrenschmaus, und umgekehrt, aber jeweils nur für Sekunden.
Unsagbar schön war es, an der Meppener Umgehungsstraße aus Oldehoffs rollender Klapsmühle auszusteigen und zu spüren, wie die Lauscher sich entkrampften.
Um in der Badewanne die Zeit lesen zu können, ohne sie naßzumachen, brauchte man entweder die Flügelspannweite einer Fieseler Storch oder eine ausgefeilte Falttechnik, wie ich sie mir in langen Jahren angeeignet hatte.
Am meisten interessierte mich der Artikel über Fritz Levy.
Das friesische Jever hat gut 12 000 Einwohner, eine renommierte Bierbrauerei, ein traditionsreiches Gymnasium und eine Tageszeitung – das Jeversche Wochenblatt. Nach Meinung dieser Zeitung hat Jever außerdem eine »Judenfrage«, die sich aber durch Totschweigen lösen ließe: »In eigener Sache möchten wir unsere Leser heute bitten, zum Thema Judenfrage in Jever von Zuschriften abzusehen. Wir möchten – ob pro oder contra – auf die jüngsten Ereignisse nicht
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