Alle Wege führen nach Rom: Die ewige Stadt und ihre Besucher (German Edition)
dramatischen Ereignisse in der Stadt befanden, heben einen besonderen Aspekt dieses Widerstands hervor: seinen festlichen Charakter und die Ironie und den Spott gegenüber dem Feind. Während des Kampfs um die Stadt hörten einmal die verblüfften Franzosen, wie die Römer jenseits der zur Verteidigung errichteten Barrikaden die Marseillaise anstimmten, zum Hohn darauf, dass gerade sie in Missachtung des von ihnen zum ersten Mal proklamierten demokratischen Ideals angerückt waren, um die Freiheit eines anderen Volks zu unterdrücken. Episoden dieser Art wiederholten sich mehrmals während der Belagerung und sind eine schöne Bestätigung für Gogols einfühlsame Beobachtungen über das römische Volk.
16.
Émile Zola in der Hauptstadt des Königreichs Italien
Der französische Romancier Émile Zola kam 1894 nach Rom und blieb, abgesehen von einer kurzen Reise nach Neapel im November, mehr als einen Monat lang in der ewigen Stadt, nämlich vom 31. Oktober bis zum 5. Dezember. Er plante, einen großen Roman über das neue Rom zu schreiben, das 1870 in Folge seiner Vereinigung mit Italien Hauptstadt des Königreichs geworden war. Um sich das nötige Material zu beschaffen, ging er wie der Journalist vor, der er selbst einmal gewesen war. Er nahm viele Besichtigungen vor und interviewte zahlreiche Persönlichkeiten, die er für repräsentativ für das Leben der Stadt hielt, darunter König Umberto I. und seine Gemahlin Margherita von Savoyen, den amtierenden Ministerpräsidenten Francesco Crispi sowie einige der wichtigsten Minister, dazu Politiker ersten Rangs, Journalisten und Vertreter der alten römischen Aristokratie. Er bemühte sich auch um eine Audienz bei Papst Leo XIII., mit weltlichem Namen Gioacchino Pecci, geboren in Carpineto Romano, der von 1878 bis 1903 die Kirche regierte, aber sie wurde ihm verweigert, weil sein letzter Roman über Lourdes auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt worden war. Er sammelte dennoch viele Informationen über den Papst. Dank dieser Interviews und anderer Kontakte konnte er trotz der wenigen Zeit, die ihm zur Verfügung stand, ein handschriftlich etwa 400 Seiten umfassendes Konvolut, das erst 1958 veröffentlicht wurde, mit Notizen füllen.
Abb. 22: Rom, Der neue Bahnhof, die Stazione Termini um
Das Hauptinteresse Zolas galt den Veränderungen der Stadt, seitdem die Bresche in der Porta Pia am 20. September 1870 die Eroberung Roms durch das Königreich Italien besiegelt hatte (Abb. 22 und 23). Er wollte wissen, was von dem jahrtausendealten Sitz der Päpste und Zentrum der katholischen Christenheit nach diesem epochalen Ereignis übriggeblieben war. Deshalb eilte er schon am 1. November, dem Tag nach seiner Ankunft, nach Sankt Peter, das ihm wie ein «kaltes und grandioses Museum» erschien. Er durchwanderte die Kirche in allen Richtungen, ließ seine Augen nach oben zur Kuppel, zu den Decken und den Glasfenstern schweifen und urteilte, dass die Basilika ein «heidnischer, dem Gott des Lichts und des Pomps geweihter Tempel» sei, der «die Seele mit ihren Geheimnissen» fehle. Sein Fazit war: «Die großen Prachtentfaltungen sind tot, seit Rom Hauptstadt geworden ist. Es sind achtzigtausend Menschen nötig, um die Kirche zu füllen. Heute, an Allerheiligen, scheinen die fünfhundert Personen, die sich hier eingefunden haben, verstreute Ameisen zu sein.» Sodann besuchte er die Basilika Santa Maria Maggiore, die er mit flüchtigen Strichen beschreibt. Ihn interessierten vor allem die Gläubigen dort, kleine Gruppen von Leuten aus dem Volk und Bauern, die inbrünstig zu beten schienen, aber diese ganze Frömmigkeit überzeugte ihn nicht. Sehr viel größeren Eindruck machte ihm dagegen die Chiesa del Gesù, die Kirche der Jesuiten. Sie war voll, und unter den Gläubigen befanden sich auch viele junge Leute, die ihm sehr religiös vorkamen. Wie er schrieb, war diese Kirche trotz ihrer dekorativen Überladenheit im Gegensatz zu Sankt Peter «von einer wollüstigen Religion, die mehr Seele und Leidenschaft hat als die heidnische Kälte von Sankt Peter». Im Laufe seines Rombesuchs besichtigte er noch andere Kirchen, ohne sich dazu zu äußern. Er begnügte sich mit der Feststellung, dass es in Rom mehr als vierhundert Kirchen gebe, «mehr als eine pro Tag». Einen Besuch war ihm auch die Kirche San Pietro in Vincoli wert, wo er Michelangelos Moses-Statue bewunderte. Er kam zum Schluss, dass es in Rom wenig Religion, dafür aber viel Aberglauben gebe: «Im Volk
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