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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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dasselbe ernste Wesen aus, das aus ihren Augen sprach und in ihrer Stimme mitschwang, das die eigene mutterlose Jugend schon vor langer Zeit in ihrer Schwester hatte heranreifen lassen. Aber noch immer wirkte sie sofort als die lieblichere und schwächere von beiden; sie schien noch immer den Kopf an die Brust der Schwester zu lehnen und ihr Vertrauen in sie zu setzen und in ihren Augen Rat und Trost zu suchen. In diesen zärtlichen Augen, die so ruhig, gelassen und heiter waren wie früher.
    „Und als sie in ihrem Heim war“, las Marion aus dem Buch vor, „in ihrem Heim, das ihr durch diese Erinnerungen so überaus lieb war, begann sie nun zu fühlen, daß die große Versuchung ihres Herzens bald kommen müsse und nicht aufgeschoben werden könne. O Heim, unser Tröster und Freund, wenn andere treulos werden, sich von ihm zu trennen ist auf jeder Stufe zwischen der Wiege und dem Grabe …“
    „Marion, mein Liebes!“ sagte Grace.
    „Na, Kätzchen“, rief ihr Vater aus, „was ist los?“
    Sie legte die Hand auf die, die ihr die Schwester entgegenstreckte, und las weiter. Ihre Stimme zitterte und bebte, obwohl sie versuchte, sie wieder zu beherrschen, nachdem sie so unterbrochen wurde.
    „Sich von ihm zu trennen ist auf jeder Stufe zwischen der Wiege und dem Grabe schmerzlich. O Heim, das du so treu uns bist und als Dank so oft mißachtet wurdest, sei nachsichtig gegenüber denen, die sich von dir abwenden, und folge ihren in die Irre gehenden Schritten nicht zu vorwurfsvoll! Laß auf deinem geisterhaften Gesicht keine freundliche Miene sehen, kein Lächeln, an das man sich gut erinnert. Laß keinen Strahl von Liebe, Willkommen, Güte, Nachsicht und Herzlichkeit von deinem weißen Haupt leuchten. Laß kein früheres zärtliches Wort oder eine Stimmung im Urteil gegen deinen Treulosen aufkommen, aber wenn du unnachgiebig und streng blicken kannst, tue es aus Gnade gegen den Büßer!“
    „Liebe Marion, lies heute abend nicht weiter“, sagte Grace, denn sie weinte.
    „Ich kann nicht“, antwortete sie und schloß das Buch. „Die Worte scheinen alle zu brennen.“
    Der Doktor amüsierte sich darüber und lachte, als er ihr über den Kopf strich.
    „Was denn! Von einem Buch überwältigt!“ sagte Dr. Jeddler. „Druck und Papier! Nun, das ist alles eins. Es ist genauso vernünftig, Druck und Papier ernst zu nehmen wie alles andere. Aber trockne dir die Augen, Liebes, trockne dir die Augen. Ich glaube allerdings, daß die Heldin schon längst nach Hause gekommen ist und es überall hergerichtet hat, und wenn nicht, ein wirkliches Heim besteht nur aus vier Wänden und ein ausgedachtes bloß aus Fetzen und Tinte. Was ist denn nun los?“
    „Ich bin’s nur, Mister“, sagte Clemency und steckte den Kopf zur Tür herein.
    „Und was ist mit dir los?“ fragte der Doktor.
    „Oh, gerechter Gott, nichts is mit mir los“, entgegnete Clemency, und das stimmte auch, nach ihrem gründlich geseiften Gesicht zu urteilen, das wie gewöhnlich wie die Inkarnation der guten Laune strahlte und sie trotz ihrer Plumpheit recht anziehend machte. Abschürfungen an den Ellbogen werden im allgemeinen nicht zu der Kategorie persönlicher Liebreize gezählt, die man Schönheitsfleckchen nennt. Doch es ist besser, durch die Welt zu gehen und sich die Arme aufzureiben anstelle des Gemütes, und das war so gesund und vollkommen wie das einer jeden Schönheit im Lande.
    „Nichts is mit mir los“, sagte Clemency und trat ein, „aber – kommen Sie ein bißchen näher, Mister.“
    Der Doktor war ziemlich verwundert, kam aber der Aufforderung nach.
    „Sie sagten doch, ich soll Ihnen vor denen keinen geben, nich?“ sagte Clemency.
    Ein Neuling in der Familie hätte wegen des außerordentlich koketten Blicks, als sie dies sagte, und der seltsamen Erregung und Verzückung, die auf ihre Ellbogen Übergriff, als wollte sie sich selbst umarmen, annehmen können, daß „keinen“ in seiner günstigsten Auslegung einen keuschen Kuß bedeutete. Der Doktor schien im Augenblick tatsächlich beunruhigt zu sein, faßte sich aber schnell wieder, da Clemency, nachdem sie in ihren Taschen gekramt hatte – wobei sie mit der richtigen begann, zur falschen überging und dann wieder auf die richtige zurückkam –, einen Brief vom Postamt hervorholte.
    „Britain is bei einem Botengang vorbeigeritten“, kicherte sie und händigte ihn dem Doktor aus, „und hat gesehn, wie die Post kam, und drauf gewartet. Da in der Ecke steht A. H.! Mr. Alfred is

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