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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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unverwüstlich sprießen und ihren Lauf verschönen, hatte er mit jedem Jahr die Wahrheit seines früheren Glaubens besser erkannt und nachgewiesen. Seine Lebensweise, wenn auch still und zurückgezogen, hatte ihm gezeigt, daß Menschen noch oft wie in alten Zeiten von Engeln besucht werden, ohne es zu wissen; und daß die unscheinbarsten Gestalten – selbst solche, die nach außen hin gemein und häßlich aussahen und ärmlich gekleidet waren – von Kummer, Not und Schmerz erleuchtet wurden und sich in hilfreiche Seelen mit einem Glorienschein verwandelten.
    Er lebte vielleicht mit größerem Erfolg auf dem veränderten Schlachtfeld, als wenn er ruhelos auf einem ehrgeizigeren Kampfplatz gefochten hätte. Und er war glücklich mit seiner Frau, der lieben Grace.
    Und Marion. Hatte er sie vergessen?
    „Die Zeit ist seit damals verflogen, liebe Grace“, sagte er; sie hatten über jene Nacht gesprochen, „und doch scheint es lange, lange zurückzuliegen. Wir zählen innerlich nach Veränderungen und Ereignissen, nicht nach Jahren.“
    „Wir müssen auch mit Jahren zählen, seit Marion bei uns war“, erwiderte Grace. „Sechsmal, mit heute abend gerechnet, mein lieber Mann, haben wir hier an ihrem Geburtstag gesessen und von dieser glücklichen Heimkehr gesprochen, die so heiß ersehnt wird und sich so lange hinausschiebt. Ach, wann wird das sein? Wann wird das sein?“
    Ihr Mann beobachtete aufmerksam, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, und indem er näher an sie heranrückte, sagte er:
    „Aber Marion schrieb dir doch in ihrem Abschiedsbrief, den sie auf deinem Tisch zurückließ, Liebste, und den du so oft gelesen hast, daß Jahre vergehen müßten, ehe es sein könnte. Nicht wahr?“
    Sie nahm einen Brief von ihrer Brust, küßte ihn und sagte:
    „Ja.“
    „Daß sie sich in all den dazwischenliegenden Jahren, wie glücklich sie auch sein mögen, auf die Zeit freue, da ihr euch wiederseht und alles bereinigt werde, und daß sie dich voller Vertrauen und Hoffnung anflehe, dasselbe zu tun. Lautet der Brief nicht so, mein Schatz?“
    „Ja, Alfred.“
    „Und jeder andere auch, den sie seitdem geschrieben hat?“
    „Mit Ausnahme des letzten, vor einigen Monaten, in dem sie von dir sprach und von dem, was du damals wußtest und was ich heute abend erfahren soll.“
    Er schaute zur Sonne, die schnell unterging, und sagte, daß der Sonnenuntergang die vereinbarte Zeit war.
    „Alfred!“ sagte Grace ernst und legte ihre Hand auf seine Schulter, „in diesem Brief, diesem alten Brief, den ich, wie du sagst, so oft gelesen habe, steht etwas, was ich dir nie erzählt habe. Doch heute abend, mein lieber Mann, da der Sonnenuntergang naht und unser Leben mit dem zu Ende gehenden Tag sanfter und ruhiger zu werden scheint, kann ich es nicht mehr verschweigen.“
    „Was ist es, Liebling?“
    „Als Marion wegging, schrieb sie mir hier, daß du sie mir einst anvertraut hattest und sie nun dich, Alfred, in meine Obhut gab, wobei sie mich inständig bat, da ich sie und dich liebte, die Zuneigung, die du ihrer Meinung nach (sie schrieb, sie wüßte es) auf mich übertragen würdest, sobald die frische Wunde verheilt sei, nicht zurückzuweisen, sondern sie zu bestärken und zu erwidern.“
    „Und mich wieder zu einem stolzen und glücklichen Mann zu machen, Grace. Schrieb sie das?“
    „Sie wollte mich glücklich und verehrt in deiner Liebe machen“, war die Antwort seiner Frau, als er sie in den Armen hielt.
    „Hör mich an, mein Schatz!“ sagte er. – „Nein! Hör mich so an!“ Während er sprach, legte er zärtlich ihren Kopf, den sie erhoben hatte, wieder an seine Schulter. „Ich weiß, warum ich bis heute nie diesen Abschnitt aus dem Brief gehört habe. Ich weiß, warum in jener Zeit keine Spur davon aus deinen Worten oder Blicken zu entnehmen war. Ich weiß, warum Grace, obwohl sie mir ein treuer Freund gewesen, so schwer als meine Frau zu gewinnen war. Und da ich das weiß, mein Schatz, kenne ich den unschätzbaren Wert des Herzens, das ich mit meinen Armen umschließe, und danke Gott für den kostbaren Besitz!“
    Sie weinte, jedoch nicht vor Kummer, als er sie an sein Herz drückte. Nach einer Weile blickte er auf das Kind hinunter, das zu ihren Füßen mit einem Blumenkörbchen spielte, und bat sie, das goldene Rot der Sonne zu betrachten.
    „Alfred“, sagte Grace und hob bei diesen Worten schnell den Kopf. „Die Sonne geht unter. Du hast nicht vergessen, was ich wissen soll, ehe sie

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