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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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heimgesuchter Mann aus. Gegenwärtig würde ich den Anspruch erheben, daß jeder diesbezüglich recht hatte. Er sah so aus.
    Wer hätte seine hohlen Wangen, seine eingesunkenen, leuchtenden Augen, seine schwarz gekleidete, unerklärlich düstere, doch kräftige und gutgebaute Gestalt, sein graues Haar, das ihm wie verflochtener Seetang ins Gesicht hing – als wäre er sein Leben lang ein einsames Zeichen im Toben und Wüten des weiten Meeres der Menschheit gewesen –, ansehen können, ohne zu sagen, daß er wie ein heimgesuchter Mann aussah?
    Wer hätte sein schweigsames, gedankenvolles, schwermütiges Verhalten, das gewöhnlich von Verschlossenheit überschattet, stets zurückhaltend, doch nie fröhlich war, mit verwirrtem Ausdruck zu vergangenen Orten und Zeiten zurückkehrte oder auf frühere Echos in seinem Herzen lauschte, bemerken können, ohne zu sagen, daß es das Verhalten eines heimgesuchten Mannes war?
    Wer hätte seine langsame, tiefe und ernste Stimme mit einem natürlichen Wohlklang, gegen den er sich selbst stellte und den er zu unterbinden schien, hören können, ohne zu sagen, daß es die Stimme eines heimgesuchten Mannes war?
    Wer ihn in seiner verborgenen Kammer gesehen hatte, die teils Bibliothek, teils Labor war – denn er war, wie man weit und breit wußte, ein gelehrter Chemiker und ein Lehrer, an dessen Lippen und Händen täglich eine Menge wißbegieriger Ohren und Augen hingen –; wer ihn dort an einem Winterabend gesehen hatte: allein, von seinen Drogen, Instrumenten und Büchern umgeben; der Schatten seines Lampenschirmes ein riesiger Käfer an der Wand, reglos zwischen einer Menge geisterhafter Gebilde, die dort vom Aufflackern des Feuers auf den wunderlichen Gegenständen um ihn herum hervorgerufen wurden; einige dieser Gespenster (die Widerspiegelung von Glasgefäßen, die Flüssigkeiten enthielten) zitterten im Herzen wie Dinge, die seine Macht, sie freizulassen und ihre Bestandteile an Feuer und Dampf zurückzugeben, kannten; wer ihn dann nach getaner Arbeit gesehen hatte, wie er vor dem verrosteten Kamingitter und der roten Flamme grübelte, seinen schmalen Mund bewegte, als ob er spräche, aber wie ein Grab schwieg, hätte nicht gesagt, daß dieser Mann und auch die Kammer heimgesucht seien?
    Wer hätte nicht ohne allzu große Einbildungskraft geglaubt, daß alles um ihn herum diesen heimgesuchten Charakter annahm und daß er auf einem heimgesuchten Gelände wohne?
    Seine Behausung war einsam und glich einer Gruft; sie lag im entlegenen Teil einer ehrwürdigen Stiftung für Studenten, einst ein kühner Bau, der an einer freien Stelle errichtet worden, doch jetzt die veraltete Laune vergessener Architekten war. Rauch, Alter und Wetter hatten ihn geschwärzt, das schnelle Wachsen der großen Stadt hatte ihn zusammengepreßt und wie einen alten Brunnen mit Steinen und Ziegeln verstopft. Seine kleinen Höfe lagen in regelrechten Schächten aus Straßen und Gebäuden, die im Laufe der Zeit über seine wuchtigen Schornsteine hinaus gebaut worden waren. Seine alten Bäume wurden vom Rauch der Nachbarschaft angegriffen, der bis zu dieser Tiefe sank, wenn er schwach und das Wetter launisch war. Seine Rasenplätze rangen mit der von Meltau befallenen Erde darum, Gras zu sein oder irgendeinen Kompromiß zu erreichen. Sein stummes Pflaster war nicht an Schritte und selbst ein Betrachten gewöhnt, außer wenn ein vereinzeltes Gesicht aus der oberen Welt herabblickte und sich über diesen Winkel wunderte. Seine Sonnenuhr befand sich in einer kleinen, von Ziegeln eingefaßten Ecke, wohin sich seit hundert Jahren kein Sonnenstrahl verirrt hatte, wo aber zum Ausgleich dafür der Schnee wochenlang liegenblieb, wenn nirgendwo mehr welcher lag, und wo der grimmige Ostwind wie ein riesiger Brummkreisel herumwirbelte, wenn es überall still und ruhig war.
    Seine Behausung war im eigentlichen Herzstück, an seinem Kamin, düster und alt, rissig und doch stabil mit ihren wurmstichigen Holzbalken an der Decke und ihrem massiven Regal, das bis zum großen eichenen Kaminsims herabreichte. Sie war vom Druck der Stadt umgeben und eingeschlossen, doch in Stil, Zeit und Gewohnheit weit entfernt. Sie war ruhig, doch von lauten Echos erfüllt, wenn sich in der Ferne eine Stimme erhob oder eine Tür geschlossen wurde, von Echos, die nicht auf die zahlreichen niedrigen Korridore und leeren Räume beschränkt waren, sondern polterten und dröhnten, bis sie in der dunstigen Luft der vergessenen Krypta, wo die

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