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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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erwiderte der Geist. „Es geht heute nacht zu Ende.“
    „Heute nacht?“ schrie Scrooge.
    „Heute um Mitternacht. Horch! Die Zeit rückt näher.“
    In diesem Augenblick schlugen die Glocken drei Viertel zwölf.
    „Verzeih mir, wenn ich nicht das Recht habe, folgendes zu fragen“, sagte Scrooge und betrachtete unverwandt den Umhang des Geistes, „aber ich sehe etwas Seltsames, was nicht zu dir gehört und unter deinem Saum hervorlugt. Ist es ein Fuß oder eine Klaue?“
    „Es könnte eine Klaue sein, nach dem Fleisch darauf zu urteilen“, war des Geistes bekümmerte Antwort. „Sieh her.“

    Aus den Falten seines Umhanges holte er zwei Kinder hervor; erbärmliche, niedergeschlagene, entsetzliche, häßliche, elende Wesen. Sie knieten zu seinen Füßen und klammerten sich außen an sein Gewand.
    „O Mensch, sieh her! Sieh hier herab!“ rief der Geist.
    Es waren ein Junge und ein Mädchen. Gelb, mager, zerlumpt, finster und wild, doch auch unterwürfig in ihrer Demut. Wo die Anmut der Jugend ihre Gestalten hätte formen und ihnen einen Anflug von Frische verleihen sollen, da hatte eine verarbeitete, runzlige Hand, wie die des Alters, sie gezwickt, gezerrt und in Stücke gerissen. Wo Engel hätten thronen können, lagen Teufel auf der Lauer und warfen drohende Blicke um sich. Keine Verwandlung, keine Entartung, keine noch so große Umkehrung der menschlichen Natur unter allen Geheimnissen der wunderbaren Schöpfung hat halb so furchtbare und schreckliche Ungeheuer hervorgebracht.
    Scrooge fuhr entsetzt zurück. Nachdem sie ihm in dieser Weise gezeigt worden waren, versuchte er zu sagen, sie wären hübsche Kinder, aber die Worte würgten sich lieber selbst ab, als daß sie an einer derart groben Lüge Anteil hätten.
    „Geist, sind das deine?“ Mehr konnte Scrooge nicht sagen.
    „Es sind Kinder der Menschen“, sagte der Geist, auf sie herabblickend. „Sie klammern sich an mich und flehen ihre Väter um Hilfe an. Dieser Junge heißt ‚Unwissenheit‘. Dieses Mädchen heißt ‚Not‘. Hüte dich vor beiden und ihresgleichen, doch am meisten nimm dich vor dem Jungen in acht, denn auf seiner Stirn steht ‚Jüngstes Gericht‘, wenn die Schrift nicht gestrichen wird. Leugne es!“ rief der Geist und streckte die Hand zur Stadt hin aus. “Schmäh nur die, welche es dir sagen! Verwende es für deine Parteizwecke und mach es noch schlimmer. Und warte das Ende ab!“
    „Haben sie keine Zuflucht und Hilfe?“ rief Scrooge.
    „Gibt es keine Gefängnisse?“ sagte der Geist und wandte sich mit Scrooges eigenen Worten das letzte Mal an ihn. „Gibt es keine Arbeitshäuser?“
    Die Uhr schlug zwölf.
    Scrooge drehte sich nach dem Geist um – und erblickte ihn nicht mehr. Als der letzte Schlag verklungen war, erinnerte er sich an die Vorhersage des alten Jacob Marley, und als er die Augen auf schlug, sah er eine feierliche Gestalt, in Falten gehüllt und mit einer Kapuze auf, wie Nebel über den Boden auf sich zukommen.
    Vierte Strophe
    Der letzte der Geister
    Die Erscheinung näherte sich langsam, würdevoll, schweigend. Als sie fast bei ihm war, fiel Scrooge auf die Knie, denn in der Luft, durch die sich dieser Geist bewegte, schien er ein geheimnisvolles Dunkel zu verbreiten.
    Er war in ein tiefschwarzes Gewand gehüllt, das seinen Kopf, sein Gesicht und seine Umrisse verbarg und nichts sichtbar ließ außer einer ausgestreckten Hand. Ohne diese wäre es schwer gewesen, seinen Körper von der nächtlichen Dunkelheit abzuheben und ihn von der ihn umgebenden Finsternis zu trennen.
    Er fühlte, als der Geist neben ihn trat, daß er groß und stattlich war und daß seine geheimnisvolle Gegenwart ihn mit einer feierlichen Ehrfurcht erfüllte. Mehr wußte er nicht, denn der Geist sprach weder, noch bewegte er sich.
    „Stehe ich vor dem Geist der zukünftigen Weihnachten?“ fragte Scrooge.
    Der Geist gab keine Antwort, wies aber mit der Hand nach vorn.
    „Du willst mir die Schatten von Dingen zeigen, die nicht geschehen sind, sich aber in der vor uns liegenden Zeit zutragen werden“, fuhr Scrooge fort. „Ist das so, Geist?“
    Der obere Teil des Gewandes wurde einen Augenblick lang in seinen Falten zusammengezogen, als ob der Geist das Haupt geneigt hätte. Das war die einzige Antwort, die er erhielt.
    Obwohl er inzwischen schon an die Gesellschaft von Geistern gewöhnt war, fürchtete sich Scrooge vor der schweigenden Gestalt dermaßen, daß ihm die Beine schlotterten, und als er sich anschickte zu folgen,

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