Alle Weihnachtserzählungen
Strenge gegenüber den Hoffnungen, Freuden, Schmerzen oder Sorgen der vielgeplagten Menschen zeugt; wer hört, wie wir auf einen Glauben antworten, der die menschlichen Eigenschaften und Stimmungen beurteilt wie die Menge der unzureichenden Nahrung, an der die Menschheit verschmachten und vergehen kann, tut uns ein Unrecht. Dieses Unrecht hast du uns getan!“ sagte die Glocke.
„Das habe ich!“ sagte Trotty. „Oh, verzeiht mir!“
„Wer hört, daß wir dem trägen Ungeziefer der Erde nachlallen, den Unterdrückern zerschmetterter und gebrochener Wesen, die dazu gebildet sind, daß sie höher hinauf steigen, als solche Maden der Zeit kriechen oder sich vorstellen können“, fuhr der Kobold der Glocke fort, „wer das tut, tut uns ein Unrecht. Und du hast uns dies Unrecht getan!“
„Habe es aber nicht so gemeint“, sagte Trotty. „In meiner Unwissenheit. Meinte es nicht so!“
„Schließlich und vor allem“, fuhr die Glocke fort, „wer den Gefallenen und Verunstalteten seiner Art den Rücken zukehrt, sie als gemein im Stich läßt und nicht mit mitleidigen Blicken die nichteingezäunte Klippe verfolgt, von der aus sie vom Guten abfallen – wobei sie bei ihrem Sturz einige Brocken und Büschel des verlorenen Bodens mit sich reißen und noch daran festhalten, wenn sie zermalmt und sterbend unten im Abgrund liegen –, der tut dem Himmel und den Menschen, der Zeit und der Ewigkeit ein Unrecht. Und du hast dieses Unrecht getan!“
„Gnade!“ schrie Trotty und fiel auf die Knie. „Um Gottes willen!“
„Höre!“ sagte der Geist.
„Höre!“ riefen die anderen Geister.
„Höre!“ sagte eine klare und kindliche Stimme, von der Trotty glaubte, sie zuvor schon gehört zu haben.
Unten in der Kirche ertönte schwach die Orgel. Allmählich anschwellend, stieg die Melodie zum Dach hinauf und füllte Altarraum und Hauptschiff. Sich immer mehr ausbreitend, stieg sie weiter nach oben und immer höher hinauf, rüttelte beunruhigte Herzen zwischen den plumpen Eichensäulen, den dumpfen Glocken, den eisenbeschlagenen Türen und den festen Steintreppen auf, bis die Turmwände sie nicht mehr bändigen konnten und sie sich in den Himmel aufschwang.
Kein Wunder, daß die Brust eines alten Mannes eine so gewaltige und mächtige Bewegung nicht zurückhalten konnte. Sie brach aus diesem schwachen Gefängnis mit einem Tränenstrom aus, und Trotty hielt sich die Hände vors Gesicht.
„Höre!“ sagte der Geist.
„Höre!“ sagten die anderen Geister.
„Höre!“ sagte die Kinderstimme.
Eine feierliche Melodie miteinander verschmelzender Stimmen stieg in den Turm hinauf.
Es war eine sehr leise und traurige Weise, ein Grabgesang, und als er lauschte, hörte Trotty sein Kind unter den Sängern.
„Sie ist tot!“ rief der alte Mann aus. „Meg ist tot! Ihr Geist ruft mich. Ich höre ihn!“
„Der Geist deines Kindes beweint die Toten und mischt sich unter die Toten – die toten Hoffnungen, toten Phantasien, toten Vorstellungen der Jugend“, erwiderte die Glocke, „aber sie lebt. Lerne aus ihrem Leben, einer lebenden Wahrheit. Lerne von dem Geschöpf, das deinem Herzen am nächsten steht, wie böse die Bösen geboren werden. Sieh, wie jede Knospe und jedes Blatt nacheinander vom geradesten Stengel abgepflückt wird, und wisse, wie kahl und jämmerlich er sein kann. Folge deiner Tochter! Bis zur Verzweiflung!“
Jede der Geistererscheinungen streckte ihren rechten Arm aus und wies nach unten.
„Der Geist der Silvesterglocken ist dein Begleiter“, sagte die Erscheinung. „Geh! Er läßt seine Spuren hinter dir!“
Trotty drehte sich um und sah das Kind! Das Kind, das Will Fern auf der Straße getragen hatte, das Kind, das Meg beobachtet hatte und das jetzt schlief!
„Ich selbst habe es heute abend getragen“, sagte Trotty. „Auf diesen Armen.“
„Zeigt ihm, was er sein Selbst nennt“, sagten die schwarzen Gestalten, eine wie die andere.
Der Turm öffnete sich zu seinen Füßen. Er schaute hinunter und sah seinen eigenen Körper draußen auf dem Boden liegen: zerschmettert und regungslos.
„Kein lebendiger Mensch mehr!“ schrie Trotty. „Tot!“
„Tot!“ sagten die Gestalten alle auf einmal.
„Lieber Himmel! Und das neue Jahr …“
„Ist vorbei“, sagten die Gestalten.
„Wie?“ rief er bebend. „Ich habe meinen Weg verfehlt, und als ich im Dunkeln an die Außenseite des Turmes geriet, bin ich hinuntergefallen – vor einem Jahr?“
„Vor neun Jahren!“ erwiderten die
Weitere Kostenlose Bücher