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Alle Weihnachtserzählungen

Alle Weihnachtserzählungen

Titel: Alle Weihnachtserzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Gestalten.
    Als sie die Antwort gaben, zogen sie ihre ausgestreckten Hände zurück, und wo ihre Gestalten gewesen, befanden sich die Glocken.
    Und sie läuteten, denn ihre Zeit war wieder gekommen. Wiederum erschien eine Unmenge Geister; wieder waren sie – wie schon zuvor – zusammenhanglos beschäftigt; wieder wurden sie beim Verstummen der Silvesterglocken schwächer, bis sie sich in nichts auflösten.
    „Was sind denn das für welche?“ fragte er seinen Führer. „Wenn ich nicht ganz verrückt bin, was sind denn das für welche?“
    „Die Geister der Glocken. Ihr Klang liegt in der Luft“, erwiderte das Kind. „Sie nehmen das Äußere und die Berufe an, wie sie sich die Sterblichen erhoffen und ausdenken, und geben ihnen die Erinnerungen, die sie bewahrt haben.“
    „Und du?“ fragte Trotty verstört. „Was bist du?“
    „Pst!“ erwiderte das Kind. „Schau her.“
    Vor seinen Augen tat sich ein ärmliches, schäbiges Zimmer auf, in dem Meg, seine eigene liebe Tochter, an einer Stickerei arbeitete, über der er sie sehr oft gesehen hatte. Er unternahm keinen Versuch, ihr seine Küsse aufzudrücken; er gab sich keine Mühe, sie an sein liebendes Herz zu pressen. Er wußte, daß es für ihn solche Liebkosungen nicht mehr gab. Aber er hielt seinen zitternden Atem an und wischte die blind machenden Tränen weg, damit er sie betrachten, sie wenigstens ansehen konnte.
    Ah! Verändert. Verändert. Wie war das Licht der klaren Augen getrübt. Wie war die rosige Frische von ihren Wangen gewichen. Schön war sie wie vorher, aber die Hoffnung, oh, wo war die starke Hoffnung, die zu ihm wie eine Stimme gesprochen hatte?
    Sie blickte von ihrer Arbeit auf, zu einer Gefährtin hin. Als er ihren Augen folgte, fuhr der alte Mann zurück.
    In der erwachsenen Frau erkannte er sie auf den ersten Blick. In dem langen, seidigen Haar sah er dieselben Locken, um die Lippen lag noch der kindliche Ausdruck. Sieh! In den Augen, die nun fragend auf Meg gerichtet waren, lag genau der Blick, der jene Gesichtszüge kritisch prüfte, als er sie damals mit nach Hause brachte!
    Aber wer stand denn neben ihm?
    Scheu blickte er in dieses Gesicht und sah dort etwas vorherrschen, ein stolzes Etwas, undeutlich und unklar, was das Kind kaum mehr als zu einer Erinnerung machte – die jene Gestalt dort sein mochte –, doch es war dasselbe und trug das Kleid.
    Horch! Sie sprachen gerade!
    „Meg“, sagte Lilian zögernd. „Wie oft du den Kopf von deiner Arbeit hebst, um mich anzusehen!“
    „Sind meine Blicke so verändert, daß sie dich erschrecken?“ fragte Meg.
    „Nein, Liebes. Du lächelst aber beim Sticken. Warum lächelst du nicht, wenn du mich ansiehst, Meg?“
    „Das tue ich doch. Oder nicht?“ antwortete sie und lächelte sie an.
    „Ja, jetzt“, sagte Lilian, „aber sonst nicht. Wenn du glaubst, daß ich beschäftigt bin und dich nicht sehe, schaust du so ängstlich und zweifelnd, daß ich kaum aufblicken möchte. Es gibt in diesem harten und mühseligen Leben wenig Grund zu lächeln, aber früher warst du so fröhlich.“
    „Bin ich es jetzt nicht?“ rief Meg in einem Ton seltsamer Bestürzung und erhob sich, um sie zu umarmen. „Mache ich dir unser beschwerliches Leben noch schwerer, Lilian?“
    „Du warst das einzige, was es überhaupt lebenswert machte“, sagte Lilian und küßte sie inbrünstig, „manchmal das einzige, was mich noch Freude am Leben haben ließ, Meg. Solche Arbeit, solche Arbeit! So viele Stunden, so viele Tage, so viele lange Nächte mit verzweifelter, freudloser, niemals endender Arbeit – nicht etwa, um Reichtümer anzuhäufen oder großartig und froh zu leben, nicht, um genügend zum Leben zu haben; nein, bloß um das karge Brot zu verdienen, so viel zusammenzukratzen, daß man sich durchschlägt und das Nötigste hat und in dem Bewußtsein um unser schweres Schicksal am Leben bleibt! O Meg, Meg!“ Sie erhob ihre Stimme und schlang dabei die Arme um sie, wie jemand, der Schmerzen hat. „Wie kann sich diese grausame Welt nur drehen und den Anblick solchen Lebens ertragen!“
    „Lilly!“ sagte Meg beruhigend und strich ihr das Haar aus dem nassen Gesicht. „Aber Lilly! Du! So hübsch und jung!“
    „O Meg!“ warf sie ein, hielt sie in Armeslänge fest und sah ihr flehentlich ins Gesicht. „Das ist das Schlimmste von allem! Mach mich alt, Meg! Laß mich welk und runzlig werden und befreie mich von den furchtbaren Gedanken, die mich in meiner Jugend verführen!“
    Trotty wandte sich

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