Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
hebräisch. Nein.
Sie können Hebräisch?
»Ken«, sagt Oliver – ja – und fährt auf hebräisch fort.
»Vor Jahren brachte mir mein Vater einmal ein Geschenk mit nach Hause: eine hebräische Bibel. Ich konnte sie nicht lesen, wußte nicht einmal, wo Anfang und Ende ist. Ich legte sie beiseite und vergaß sie. Als ich einen katholischen Pfarrer kennenlernte und wir zusammenkamen, fiel mir das Buch wieder ein, und ich gab es ihm.«
Ihr Freund ist ein katholischer Pfarrer?
»Wir sind nicht mehr zusammen.«
Tja, interessant. Aber woher kann er Hebräisch?
»Als mein Vater starb, dachte ich an sein Geschenk, die hebräische Bibel. Ich wollte sie von dem Pfarrer zurückhaben und bekam sie auch. Ich konnte sie immer noch nicht lesen. Da beschloß ich, daß ich das unbedingt tun mußte. Ich flog nach Israel und lernte dort in einem ulpan [Sprachschule] Hebräisch.«
Oliver schiebt eine israelische CD in den CD-Spieler der Schwulenbar, in der nun lautstark hebräischer Gesang anhebt.
»Ich habe schon zweimal israelische Partys hier veranstaltet. Beim letzten Mal bin ich vorher zur jüdischen Gemeinde gegangen, um zu schauen, ob sie mir eine Menora für unsere Party leihen. Die Synagoge ist orthodox. Ich ging hinein, der Rabbi war aber in einer Besprechung. Ich zitterte. Man stelle sich nur einmal vor, ich würde zum Erzbischof gehen und ihn um einen religiösen Gegenstand für eine Schwulenparty bitten. Der würde mich hochkant rausschmeißen! Aber hier sitzeich in einer orthodoxen Synagoge, bin nicht einmal Jude und möchte mir von ihnen einen religiösen Gegenstand für eine Schwulenbar ausleihen. Mir zitterten wirklich die Hände. Und dann sieht mich der Rabbi an und sagt: ›Vergessen Sie nicht, sie nach der Party zurückzubringen.‹ Ich konnte es kaum glauben! Wir hatten die Menora genau hier, in der Mitte!«
Fast jeder, dem ich bislang auf meiner Deutschlandreise begegnet bin, war gegen Israel. Was stimmt mit Ihnen nicht, Oliver?
»Die Menschen in Deutschland, die meisten jedenfalls, verstehen nicht, was es bedeutet, wenn man sich darum sorgen muß, ob man seinen Sohn am Abend wiedersieht oder nicht, weil er inzwischen tot sein könnte. Für die Israelis ist das Realität. Ich habe einige Monate dort gelebt und es gesehen. Die Europäer aber begreifen das nicht. Nicht nur die Deutschen. Ich versuche ihnen zu erklären, daß es bei dem, was sich dort abspielt, nicht nur um Politik geht, sondern um das Leben und um eine bestimmte Mentalität. Sie glauben, daß es nur um Politik geht, so wie hier. Aber nein, dort geht es nicht um Ideen und Meinungen, sondern ums Leben.
Möchten Sie übrigens ein koscheres Bier? Ich hab welches da. Möchten Sie eins probieren?«
Oliver nimmt kein Geld von mir, was auch immer ich zu mir nehme. »Sie sind mein Gast«, sagt er.
Die »Jüdische Braut« würde sich in seiner Bar wohlfühlen.
Erfrischt und bestens genährt treffe ich mich am nächsten Tag mit Paul Bauwens-Adenauer. Paul ist ein Enkel Konrad Adenauers, des ersten deutschen Bundeskanzlers und Mitbegründers der CDU, der so etwas wie der deutsche Kennedy oder doch wenigstens Kölns Kennedy war.
Paul ist Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Köln und hat seine eigene Firma.
Ist Deutschland eine Nation?
»Wenn wir vom Fußball sprechen, dann ja.«
Abgesehen vom Fußball. Ist dies ein Land?
»Es ist auf dem Weg dahin.«
Gibt es eine Eigenschaft, einen gemeinsamen Zug, den alle Deutschen teilen?
»Ja.«
Und worin besteht er?
»Die Deutschen sind Romantiker. Sie glauben, daß es für alles und jedes eine Lösung gibt. Wenn Sie sich deutsche Talk-Shows ansehen, werden Sie feststellen, daß es auf jede Frage eine Antwort gibt. Es gibt die Überzeugung, daß der Staat jedes erdenkliche Problem lösen kann. In den Vereinigten Staaten glaubt man an sich selbst, man hat das Gefühl ›ich kann das‹. Das ist hierzulande nicht der Fall. Hier herrscht die Überzeugung, daß jemand anderes, üblicherweise der Staat, alles tun kann und alles tun sollte. Das führt zu der Einstellung, daß es keinesfalls mein Fehler war, wenn etwas, das ich getan habe, nicht funktioniert, sondern immer der einer anderen Instanz.«
Kann man damit den Zweiten Weltkrieg erklären?
»In gewisser Weise ja. Es gibt einen Glauben an und ein Vertrauen auf Autorität. Es ist dieses Gefühl, das Hitler genutzt und ausgenutzt hat.«
Wollen Sie damit sagen, daß die Klischees der Wahrheit entsprechen? Ich meine, würden Sie sagen,
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