Alleinerziehend mit Mann
und liebevoll mit Sophie umging, fasste ich endlich den Entschluss, für drei Stunden ins Büro zu fahren, um mal in Ruhe zu arbeiten. Vorher hatte ich immer von zu Hause aus, in der Nacht oder wenn Sophie schlief, gearbeitet.
Das ist auf Dauer keine wirklich praktikable Lösung. Jede Mutter mit Baby weiß, dass man sowieso nicht mehr schläft, und wenn man dann auch nicht mehr schläft, wenn man schlafen könnte, sieht man innerhalb kürzester Zeit aus wie ein Mitglied der Addams Family.
Also, ich saß völlig übermüdet in meinem Auto auf dem Weg ins Büro, und gleich an der ersten Ampel ist es passiert. Plötzlich saß eine Frau neben mir auf dem Beifahrersitz. Sie sah so aus wie ich, etwas blasser vielleicht – kein Wunder bei dem dauernden Schlafentzug. Sie war gekleidet wie ich und sprach wie ich. Sie blickte mich missbilligend von der Seite her an und machte dann ungefragt den Mund auf: »Musst du jetzt wirklich ins Büro? Deine Tochter ist noch so klein, gerade mal acht Monate alt, und schon gibst du sie einem wildfremden jungen Mädchen, das du gerade mal seit vier Wochen kennst. Kannst du nicht wieder heute Nacht zwischen drei und sechs Uhr morgens arbeiten, wenn Sophie schläft? Musst du überhaupt arbeiten? Was, wenn dem Baby was passiert? Was, wenn es schreit und zur Mama will? Was, wenn Sophie davon jetzt psychischen Schaden nimmt und den Rest ihres Lebens auf der Couch verbringen muss?«
Ich war im ersten Moment viel zu verblüfft, um überhaupt antworten zu können. Dann hupte es hinter mir, denn die Ampel war schon auf Grün gesprungen, und als ich noch mal blinzelte, war die Frau neben mir verschwunden. Ich fuhr geschockt weiter in mein Büro. Auch wenn ich am liebsten sofort umgedreht wäre und Sophie in den Arm genommen hätte.
Das war die erste Begegnung mit meinem Geist – aber leider nicht die letzte. Seitdem taucht die Frau immer wieder auf. Und immer völlig ungebeten. Und immer meckert und kritisiert sie an mir rum. Und immer bin ich hinterher völlig durcheinander.
Klar, natürlich weiß ich, wer diese Frau ist: Sie ist das personifizierte schlechte Gewissen. Das nagende Gefühl, nicht genug zu tun. Für die Familie. Für die Kinder. Für den Job. Für den Mann. Für die Umwelt. Für die Dritte Welt. Gegen die Klimakatastrophe. Für sich selbst. Für alles und jeden. Und sie ist das Gefühl, nicht gut genug zu sein – als Mutter, als Frau, im Job und überhaupt.
Gerade war sie mal wieder ziemlich penetrant, tauchte auf, als ich zu spät bemerkte, dass Sophie in einem T-Shirt mit Loch in die Schule ging; grinste mich an, als ich wegen eines Abgabetermins zum dritten Mal hintereinander abends nur ein Fertiggericht in den Ofen schob; und wurde ganz besonders dreist, als ich bemerkte, dass ich vergessen hatte, ein anständiges Geschenk zu besorgen, als Sophie zu einem Kindergeburtstag eingeladen war und mir nichts anderes übrigblieb, als schnell noch was aus der »Geschenke, die wir gerne weiterschenken«-Kiste zu ziehen.
Und da habe ich gedacht, bevor ich verrückt werde, spreche ich mal vorsichtig mit meinem Mann. Vielleicht hat er seit der Geburt von Sophie auch ständig so einen Schattenmann neben sich und hat sich auch all die Jahre nicht getraut, mit mir darüber zu reden.
Ich meine, wer gibt so was schon gerne zu. Aber schließlich will mein Mann bestimmt nicht, dass ich wegen dieser Frau für sechs Wochen in eine nette weiße Klinik gehe. Dann müsste er hier ja den Laden ganz alleine schmeißen.
Also abends im Bett – eine gute Gelegenheit, die Dinge des Tages zu besprechen. Mein Mann liest. Ich tue so, als ob ich lesen würde. Ich linse zu ihm rüber.
»Mmh … also du Schatz, ich wollte dich mal was fragen.«
»Ahm?«
»Weißt du, manchmal habe ich das Gefühl … also ich weiß auch nicht, wie ich es sagen soll … also manchmal habe ich das Gefühl, da sitzt so eine Frau neben mir, die sieht aus wie ich und spricht wie ich und ist mein personifiziertes schlechtes Gewissen, und die meckert und ermahnt immer und …«
Mein Mann legt das Buch nieder und blickt mich etwas entsetzt an.
»Also nicht, dass du mich jetzt für verrückt hältst«, rudere ich schnell zurück. »Es ist nur so, dass … also dass ich seit der Geburt von Sophie dauernd das Gefühl habe, ich müsste alles noch besser, noch schneller, noch perfekter machen, und irgendwie reicht die Zeit nie und …«
»Wieso?«
»Na, weil, ich will doch, dass alle glücklich sind und dass Sophie
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