Alleinerziehend mit Mann
hinter Ihre Tochter!« Sind das überhaupt Experten, die diese Bücher geschrieben haben?
Das ist ja eigentlich nicht zum Aushalten, was und wie wir alles erziehen sollen! Entweder wir sind zu weich oder zu autoritär, entweder wir sind zu mütterlich oder zu väterlich, entweder wir sind zu neurotisch in uns selbst verstrickt oder zu ignorant.
Wie haben uns eigentlich unsere Mütter und Großmütter ganz ohne Ratgeberliteratur und Verhaltenstraining großziehen können? Wie konnten aus uns nur drogenunabhängige, gesetzestreue und gesellschaftlich integrierte Erwachsene werden, ganz ohne »Starke Eltern – Starke Kinder«-Kurse? Wieso habe ich mich bei meiner Mutter eigentlich verstanden und geborgen fühlen können, obwohl sie nie »Einfühlsames Zuhören« gelernt hat?
Habe ich nicht Lukas mit
Jedes Kind kann schlafen lernen
ganz fürchterlich traktiert? Den armen Jungen viel zu oft schreien lassen? Und umgekehrt, hab ich nicht Eva viel zu wenig Regeln beigebracht, als ich sie jede Nacht einfach bei mir im Bett schlafen ließ? Und warum essen meine Kinder eigentlich alles gerne, bloß nicht die Gerichte aus
Kochen für Kinder
? Und schließlich erst die Gesundheitsbücher! Hab ich mich nicht verrückt machen lassen von all den Krankheiten, die man unter »Bauchweh« findet und von deren Existenz ich bis zur Lektüre keinerlei Ahnung hatte? Bin ich nicht letztlich dann immer schnell zur Kinderärztin gelaufen, wenn es sich nicht bloß um eine Erkältung handelte?
Warum habe ich nur zehn Jahre und zwei Kinder gebraucht, um zu verstehen, dass ich mich einfach auf meinen gesunden Menschenverstand, meinen Instinkt und mein Gefühl verlassen sollte? Oje, mir wird heiß, hatte nicht Alex von Anfang an … nein, dieses unbehagliche Gefühl verdränge ich jetzt sofort. Ich pflichte ihm bei, wenn er ein Fußballspiel kommentiert oder einen Politiker kritisiert, aber in seiner Abneigung gegen Ratgeber darf ich ihm einfach nicht recht geben!
Die Ratgeber wandern in die zweite Buchreihe, hinter die Lyrik, ich beginne mich dafür zu schämen, so einen Schmarren überhaupt gelesen zu haben, und vergesse bald die Bände und den Inhalt. Bis Lukas eines Tages Playmobil-Kanonenkugeln ins Bücherregal katapultiert. Nein, ich werde sie ihm nicht suchen, verspreche ich, aber Alex nimmt sich der weinenden Jungenseele an und räumt Buch für Buch aus, um die verlorenen Schätze wiederzufinden.
Spätabends, als die Kinder schlafen, kommt Alex mit geheimnisvoller Miene auf mich zu. »Ich hab gar nicht gewusst, was du gekauft hast!«
Von was spricht der Mann?
Mit leuchtenden Augen, die an Lukas’ Blick beim Wiederfinden der Kanonenkugeln erinnern, zieht Alex das Buch
Ist mein Kind hochbegabt?
hinter seinem Rücken hervor.
»Ich hab schon reingelesen!«, verkündet er. »Das könnte durchaus alles auf Lukas und Eva zutreffen!«
»Alex, das hab ich schon vor Jahren gekauft. Ich glaube nicht, dass unsere Kinder das sind!«
Enttäuscht erwidert Alex meinen Blick und blättert trotzig im Inhaltsverzeichnis.
»Und eigentlich können wir froh darüber sein!«, versuche ich, meinen Mann zu trösten. »Was meinst du, wie schwer es Hochbegabte oft haben?«
»Steht das auch drin?«, fragt Alex.
Ich zucke mit den Schultern. »Das hab ich jetzt, ehrlich gesagt, vergessen. Weißt du, diese ganze Ratgeberliteratur … Ich halte da nichts von.«
Alex legt das Buch zur Seite, schaut in die Fernsehzeitschrift und erinnert sich daran, dass heute ein Fußball-Länderspiel ist.
Am nächsten Tag gehe ich in die Buchhandlung und kaufe den neuesten Ratgeber:
Hören Sie auf Ihre innere Stimme – und nicht auf Ratgeber.
Ich lege das Bändchen ganz still und heimlich auf Alex’ Nachttisch.
[home]
29. Rollenspiele
I n meiner Vor-Mutter-Zeit glaubte ich felsenfest an Sozialisation. Jede Geschlechterrolle sei nur anerzogen, würde ich jemals Mutter werden, bekämen meine Kinder, egal ob Mädchen oder Junge, genau die gleiche Erziehung und Zuwendung. Denn die Sozialisation fängt schon beim Stillen an, las ich damals. Jungs bekommen im Schnitt eine halbe Stunde am Tag länger die Mutterbrust als Mädchen. Außerdem: Eltern schenken ihren Söhnen modulares Spielzeug (Lego) und den Töchtern Puppen. Mädchen werden für ihre Hilfsbereitschaft gelobt, Jungs für ihre Stärke. Unser Unbewusstes geht sogar so weit, dass wir dem weiblichen Nachwuchs viel weniger Bewegungsfreiheit gönnen als dem männlichen. Ich weiß nicht mehr, wie viele
Weitere Kostenlose Bücher