Alles auf Anfang Marie - Roman
Was lag in einer solchen Situation näher, als etwas zu machen, was man gut konnte und was die Kinder auch essen würden? Außerdem hatte ich bei Frau Nowakowski kein Kochbuch gesehen, ich hätte mir höchstens ein paar Rezepte aus ihren zahlreichen Zeitschriften suchen können.
Also Themenwechsel. »Wenn Sie schon so viel Unterschiedliches gegessen haben, was war denn besonders schlimm?«
»Schwer zu sagen«, erwiderte er. »In Südostasien kriegen Sie oft höllisch scharfe Sachen, das ist sehr gewöhnungsbedürftig. Aber schwer runterzubringen ist auch dieser salzarme Hirsepapp in Afrika. Man wünscht sich einfach nur, er würde nach irgendwas schmecken, damit man ihn besser essen kann. Und natürlich die Hühnerfüße,die ich mal in China gegessen habe. Zäh wie Gummi.«
Ich lachte. »Da fehlt jetzt nur noch geröstete Heuschrecke oder Klapperschlangenragout.«
Er nickte grinsend. »Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht immer, was ich da gerade esse. Und manchmal war es bestimmt besser so.«
»Uns wollten sie mal in Italien was Gutes tun«, erinnerte ich mich, »und haben uns Pferdefleisch gekocht. Ich hatte mir fest vorgenommen, es vorurteilsfrei zu essen, aber geschmeckt hat es mir nicht.«
»Das ist immer Geschmackssache«, sagte er. »Der eine schwärmt für Sachen, die der andere nie essen würde. Vieles ist anerzogen.«
»Deswegen wollten die kleinen Nowakowskis den Thunfisch nicht essen. Sie haben nicht mal probiert. Unsere Kinder mussten immer alles probieren.«
Wieder lachte er. »Da hätte ich jetzt drauf gewettet. Händewaschen vor Tisch und erst fragen, bevor man aufsteht.«
»Allerdings. Da waren Henning und ich uns einig.«
»Na also. Bestimmt gibt’s bei Ihnen auch einen festen Waschtag in der Woche?«
»Inzwischen nicht mehr, aber als alle noch zu Hause waren schon. Ohne eine gewisse Ordnung hätte ich das nie geschafft.« Ich fühlte mich inzwischen ein wenig vorgeführt. »Was ist das hier, das Spießergericht?«
»Ach Quatsch.« Er legte sein Besteck ordentlich auf dem Teller zusammen. »Nun seien Sie bloß nicht empfindlich. Das sind doch Sachen, auf die Sie stolz sein können.«
»Ich soll stolz auf einen Waschtag sein? Wollen Sie sich über mich lustig machen, weil ich immer nur Hausfrau war?«
»Im Gegenteil, Marie. Es sind doch die Leute wie Sie, die unser Land über Wasser halten. Ihre Kinder sind aus dem Haus?«
»Ja, inzwischen beide.« Ich dachte an Christoph, mit dem ich seitdem nur zweimal telefoniert hatte. Es fiel mir sehr schwer, nicht abends nach dem Gespräch mit Lotta noch mal zum Hörer zu greifen und sein Handy anzuwählen. Aber er hatte sich das nachdrücklich verbeten.
»Ich nehme an, die studieren?«
»Ja. Lotta in Hamburg und Christoph in Münster.«
»Und die werden eines Tages vernünftige Jobs haben und Geld verdienen und Familien gründen und vermutlich auch ihren Kindern beibringen, dass man bei Tisch nicht rülpst und schmatzt.«
Selbstverständlich hoffte ich das. »Was wollen Sie mir damit sagen?«
»Dass das nicht selbstverständlich ist. Wie Sie ja inzwischen bei meinen Mietern oben gesehen haben. Wissen Sie, jeder hat so seine eigene Methode, um mit dem Leben umzugehen. Ich bin wohl eher der Flüchter. Ich haue einfach ab, wenn es zu schwierig wird – fragen Sie Henning. Die Frau Nowakowski oben sitzt alles aus. Sie kümmert sich einfach nicht drum und hofft, dass sich die Probleme irgendwie schon lösen. Und Sie sind jemand, der die Dinge anpackt. Sie kriegen nicht nur Kinder, Sie erziehen sie auch. Und ich finde, darauf kann man schon stolz sein.«
So hatte ich das noch nie gesehen. Sonst war ich immer in Verteidigungsstellung, weil ich »nur« Hausfrau war und das Geld meines Mannes ausgab. Man konnte schon froh sein, wenn man genug Selbstbewusstsein hatte, um sich dafür nicht bloß zu schämen.
Über seine gerade in kurzen Zügen ausgebreitete Theorie musste ich allerdings erst etwas nachdenken. »MeinenSie, dass man das so allgemein fassen kann? Mir scheint, dass man da doch noch mehr Aspekte berücksichtigen muss.«
Er schüttelte den Kopf. »Wenn es um Grundmuster geht, nicht. Aber vielleicht sollte ich uns lieber einen Kaffee holen, statt Sie mit meiner schrägen Weltsicht zu langweilen.«
Langweilig war das eigentlich nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass es mir bei meinen aktuellen Fragen nicht weiterhalf. Deshalb wartete ich, bis wir beide mit unseren Tassen wieder einander gegenüber saßen, und stellte eine andere
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