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Alles auf dem Rasen

Alles auf dem Rasen

Titel: Alles auf dem Rasen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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waghalsige These: Dynamisches Recht ist nichtstaatliches Recht. – Bevor wir sie formulieren, drehen wir uns auf unserem Panoramapunkt noch einmal um uns selbst und halten Ausschau nach einem weiteren Beispiel. Wo bewegt sich was, wo bewegt es sich außerhalb traditionell verrechtlichter Bereiche …
    Inzwischen weiß jeder, dass »http://www« nicht das Geräusch transkribiert, das man Mitte Januar beim Warten an einer ungeschützten Bushaltestelle von sich gibt. Im World Wide Web herrscht noch immer vergleichsweise geringe Regelungsdichte, es ist ein grauer Fleck auf der Landkarte juristischer Durchdringung des menschlichen Miteinanders. Denn das Internet ist schwer zu erfassen, irgendwie … chaotisch. Schließlich liegt ihm die Unübersichtlichkeit als konstituierendes Prinzip zugrunde. Durch eine Vernetzung möglichst vieler Server glaubte das amerikanische Verteidigungsministerium seine Datenverarbeitung vor gezielten Übergriffen schützen zu können, und in dieser Idee lag eine der Geburtsstunden des Internets. Es entstand ein weltumspannender Kommunikationsraum, regelfrei und doch friedlich: paradiesisch?
    Es gibt Bestrebungen, diesen Zustand zu beenden, und zwar durch Internetgesetze aus gewohnter Quelle (Parlament). Wie weiterführend es sein kann, ein globales System durch nationale Gesetzgebung erfassen zu wollen, mag dahingestellt bleiben. Hier soll behauptet werden: Es gibt bereits Recht im Internet, nur entstammt es nicht durchgängig der staatlichen Hand.
    Für den Versuch einer Beweisführung muss zunächst zwischen zwei Funktionen des Internets unterschieden werden. Auf der einen Seite ist es ein Medium menschlicher Verständigung. Als solches dient es der Übermittlung von Informationen, ganz wie Telephon, Fax und die gute alte Post. In diesem Bereich betrifft die Diskussion um die Regelungsbedürftigkeit des Internets vor allem den Erlass oder die Änderung strafrechtlicher Normen. Die neu zu fassenden Tatbestände beziehen sich auf Verhalten, das – wie das Verbreiten illegalen pornographischen Materials oder die Verabredung von Verbrechen – auch außerhalb virtueller Welten strafbar ist. Hier muss der Gesetzgeber auf das Vorhandensein neuer Technologien zur Begehung altbekannter Delikte reagieren. Mangels Neuartigkeit des Vorgangs soll er in dieser Untersuchung vernachlässigt werden.
    Auf der anderen Seite ist das Internet mehr als ein zusätzliches Kommunikationsmittel. Es ist ein neuer Lebensraum. So wie es Straßenverkehr und Wirtschaftsverkehr gibt, existiert nun auch der Internetverkehr, dessen Besonderheit darin besteht, dass er das gesellschaftliche Leben weitgehend durchdringt, indem er politische, kulturelle und wissenschaftliche Diskurssysteme in sich aufnimmt.
    Die Regelungsbedürftigkeit des menschlichen Miteinanders ergibt sich aus seiner Konfliktträchtigkeit. Nach unserem Rechtsverständnis soll zur Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Friedens jedem Zusammenstoß von Interessen eine Norm vorausgehen, deren Geltung und Auslegung den Streitparteien entzogen ist. Der soziale Umgang im Internet hat sich jedoch weitgehend ohne derartige staatliche Verhaltensgebote und -verbote entwickelt. Noch gibt es im Chatroom keinen strafbaren Hausfriedensbruch; stattdessen gilt die Netiquette. Man kann diese Form milder Anarchie mit einer Gesellschaft im vorrechtlichen Zustand vergleichen und danach fragen, ob Ansätze zur selbstregulativen Rechtsentwicklung zu verzeichnen sind.
    Der Kontakt von Personen auf virtuellem Weg ist in ungewohntem Maße pragmatisch und frei von Nebenwirkungen. Ein Teilnehmer am Internetdiskurs betritt den Kommunikationsraum nicht mit seiner natürlichen, widersprüchlichen und widerständigen Identität, sondern als Träger eines spezifizierten Interesses, das ihn relativ frei von Reibungspunkten zu bestehenden oder gerade entstehenden Interessenbündelungen leitet. In diesen geht es ausschließlich um eine entsprechende Bedürfnisbefriedigung. Abweichende Interessen bergen im körperlosen Raum nicht die Gefahr gewaltträchtiger Auseinandersetzungen, sondern führen zum Abbruch des Kontakts oder zu einer Aufspaltung und Neugründung der betreffenden Bündelung.
    Darüber hinaus ist die Bereitstellung und Vermittlung von beliebig reproduzierbaren Informationen nicht dem Umgang mit gegenständlichen und deshalb verbrauchbaren Gütern vergleichbar. Grundsätzlich ist die Teilnahme am großen Informationshandel eine win-win- Situation: Die Verfolgung jedes

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