Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
Schnecke.«
O Gott. Das würde garantiert danebengehen.
»Deine Schnecke?«
»Ja, ich hab sie heute Morgen auf dem Gehweg gefunden und in meine Tasche gesteckt. Sie ist riesig ! Und weißt du was?« Alfreds Gesicht strahlte vor kindlicher Aufregung. »Ihr Haus ist ganz haarig! Ich habe noch nie eine Schnecke mit einem haarigen Haus gesehen.«
»Und was machst du jetzt?«
»Ich sage: Schau mal, Pam, die ist für dich.«
»Und was macht Pam?«
Dem Ausdruck nackten Entsetzens auf Alfreds Gesicht nach zu urteilen, war sein Geschenk nicht unbedingt ein Renner gewesen. »Sie kreischt und gibt mir einen Schubs!«
O Pam , dachte Ellen.
»Ich falle gegen die Bücherwand, und sie kippt um, und alle Ostereier, die wir heute Morgen angemalt haben, plumpsen auf den Boden und gehen kaputt. Und Miss Bourke brüllt wie am Spieß, und ich kann meine Schnecke nicht finden, und alle starren mich an !« Alfreds Füße trommelten mit den Schuhen auf den Fußboden. »Miss Bourke schlägt mich!«
So ein Miststück, dachte Ellen.
Die Tränen eines Vierjährigen kullerten über Alfreds zweiundfünfzigjähriges Gesicht. »Ich rapple mich auf, und dann muss ich mich vor alle hinstellen und mich bei Pam entschuldigen und bei der ganzen Klasse, weil ich die Ostereier kaputt gemacht habe, und alle gucken mich an, als ob ich … als ob ich ein Bankräuber wäre.«
Ellen wäre am liebsten ins Jahr 1963 zurückmarschiert undhätte Alfred aus der Klasse genommen und ihm zum Trost ein Eis gekauft. Aber es gab nur einen einzigen Menschen, der das konnte.
Sie hob ihre Stimme. »Ich möchte jetzt mit dem erwachsenen Alfred reden. Sind Sie da?«
Alfred straffte sich. Er räusperte sich und hob das Kinn. »Ja«, antwortete er mit seiner tiefen Männerstimme.
»Gut. Alfred, ich möchte, dass Sie jetzt in diese Vorschule zurückkehren und Ihr vierjähriges Ich mit den Augen des Erwachsenen sehen, der Sie heute sind. Ich werde rückwärts von fünf zählen. Fünf, vier, drei, zwei, eins … Sie sind jetzt dort.«
Alfred reckte seinen Hals.
»Sind Sie dort?«, fragte Ellen.
»Ja.«
»Können Sie den vierjährigen Alfred sehen?«
»Ja.«
»Was würden Sie gern zu ihm sagen?«
»Mach dir nichts draus, Kleiner. Mädchen mögen nun mal keine Schnecken. Da sind sie komisch, weißt du. Du wolltest ja nur helfen. Du kannst nichts dafür.«
Ellen warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Die Sitzung dauerte länger als eingeplant, und gleich im Anschluss hatte sie einen Termin mit Mary-Kate McMasters, vorausgesetzt natürlich, sie kam überhaupt. Es wurde Zeit, die Sitzung mit ein paar positiven Suggestionen zu beenden.
Plötzlich tauchte Mary-Kates trauriges, plumpes Gesicht vor Ellens innerem Auge auf. Sie sah Alfred Boyle nachdenklich an. Sowohl Mary-Kate als auch Alfred waren Singles.
»Ledig«, hatten beide im gleichen resignierten »Na-ja-was-kann-man-anderes-erwarten«-Tonfall auf Ellens Frage geantwortet, als sie das Aufnahmeformular ausfüllte.
Sie waren beide etwa im gleichen Alter. Ellen fiel zwar keine weitere Gemeinsamkeit ein, aber wer konnte schon die magische Kombination aus Charakterzügen, persönlichem Hintergrund undChemie vorhersagen, die zwei Menschen dazu veranlasste, sich ineinander zu verlieben?
Warum sollte sie nicht ein ganz klein wenig nachhelfen? Sie brauchte sie bloß mit dem Fingernagel anzustupsen, damit sie wie zwei Murmeln aufeinander zurollten. Was war schon dabei?
Und schon hörte sie sich sagen: »Sie haben diese Gefühle aus Ihrer Vorschulzeit sehr lange mit sich herumgetragen. Deshalb wollen wir die Geschichte jetzt umschreiben. Wenn Sie das nächste Mal einer traurig dreinblickenden Frau begegnen, könnten Sie den starken Wunsch verspüren, ihr ein nettes Kompliment zu machen …«
Ellen dachte kurz nach. Angenommen, die traurig dreinblickende Frau war tatsächlich Mary-Kate, wie würde sie reagieren? Wahrscheinlich nicht wie die kleine Pam, aber Mary-Kate war Mary-Kate. Ellen hatte keinen blassen Schimmer, wie sie sich verhalten würde. War das vielleicht doch eine ziemlich verrückte Idee?
»… und Sie werden sich gut dabei fühlen«, fuhr sie fort. » Ganz egal, wie die Frau reagieren wird . Sie werden sich großartig fühlen.«
Ellen zögerte abermals. Wie weit sollte sie gehen?
Ach, zum Teufel damit.
»Sie fragen sie vielleicht sogar, ob sie mit Ihnen ausgehen möchte. Sie werden deutlich und selbstbewusst sprechen und ihr direkt in die Augen sehen, und falls der vierjährige Alfred
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