Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
drehte sie sich noch einmal unauffällig um. Mary-Kate ließ sich in einen der Sessel fallen und griff nach einer Zeitschrift. Alfred hüstelte nervös und blieb stehen. Dann schlenderte er zu einem der Drucke, die Ellen an der Wand aufgehängt hatte, und betrachtete ihn so eingehend, als beabsichtigte er, ihn zu kaufen.
Ellen ging in ihr Büro zurück, wo sie ein paar Informationen über Selbsthypnose bei Redeangst heraussuchte und eine Entspannungs-CD.
Sie trat ans Fenster und blickte aufs Meer hinaus. Übertrat sie schon wieder die ethische Grenze? Alfred und Mary-Kate wechselten wahrscheinlich nicht einmal ein Wort miteinander. Sie schaute auf die Uhr. Wie lange sollte sie warten? Nicht, dass die beiden dachten, sie sei ohnmächtig geworden oder etwas in der Art.
Fünf Minuten. Sie beschloss, ihnen fünf Minuten zu geben. Fünf Minuten, die in ihrer beider Leben vielleicht gar nichts zu bedeuten hätten, oder fünf Minuten, die möglicherweise ihr ganzes Leben veränderten.
Wofür werdet ihr euch entscheiden, Alfred und Mary-Kate?
16
Verweile nicht in der Vergangenheit, träume nicht von der Zukunft, sondern konzentriere dich auf den gegenwärtigen Augenblick.
B UDDHISTISCHE W EISHEIT AN E LLENS B ADEZIMMERSPIEGEL
»Wahrscheinlich sollte ich … Ich meine, du willst vermutlich nicht, dass … Ich denke, ich warte so lange im Auto, oder?«, stammelte Ellen.
Sie hielten vor dem Friedhof, wo Colleen ihre letzte Ruhe gefunden hatte. Jack, der hinten saß und mit seinem Nintendo DS spielte, bewegte lautlos die Lippen. Er hatte sich auf der ganzen eineinhalbstündigen Fahrt nach Katoomba ausschließlich mit seiner Spielkonsole beschäftigt. Colleens Eltern waren ein paar Jahre vor dem Tod ihrer Tochter in die Blue Mountains gezogen und hatten sich gewünscht, dass sie in ihrer Nähe beerdigt wurde. Neben Jack lag ein riesiger Strauß von Colleens Lieblingsblumen – gelbe Gerbera –, den Patrick im Blumengeschäft bestellt und an diesem Morgen abgeholt hatte.
(Patrick hatte die Blumen ja nicht für eine andere Frau gekauft. Für eine Geliebte. Eine Nebenbuhlerin. Nein, so war das keineswegs. Und es war auch nicht so, dass er Ellen noch nie Blumen geschenkt hätte. Er hatte ihr viele Male welche mitgebracht. Wunderschöne Sträuße. Und warum zum Teufel verschwendete sie dann überhaupt einen Gedanken an diese verdammten Blumen, wenn sie gar keinen Grund hatte, sich Gedanken zu machen?)
»Nein, ich möchte, dass du mitkommst«, sagte Patrick.
Als er den Motor abgestellt und sich abgeschnallt hatte, wandte er sich Ellen zu und lächelte verlegen. Er war den ganzen Morgen nervös und reizbar gewesen, hatte viel zu laut über ihre Scherze gelacht, war übermäßig streng mit Jack gewesen und hatte ihn dann unvermittelt, quasi entschuldigend, wieder umarmt. Es war, als müsste er auf die Bühne und hätte schreckliches Lampenfieber.
»Ich möchte, dass sie dich kennenlernt«, fügte er leise hinzu.
»Oh«, machte Ellen.
»Findest du das irgendwie komisch?« Er legte seine Hand auf ihre.
»Nein, natürlich nicht«, antwortete Ellen, während eine Stimme in ihrem Inneren kreischte: NATÜRLICH IST DAS KOMISCH! HAST DU DEN VERSTAND VERLOREN?!
Patrick drehte sich nach hinten um. »Und, alles klar, Kumpel? Komm, lass uns zu Mum gehen.«
»Ja, gleich«, murmelte Jack, ohne aufzublicken, während seine Daumen flink über die Knöpfe des Nintendo huschten.
»Jack!«, sagte Patrick scharf.
Der Junge seufzte und warf die Spielkonsole auf die Rückbank. »Ich komm ja schon.«
Alle drei stiegen aus. Es war kühler hier oben in den Bergen, als Ellen gedacht hatte, und sie zog ihren Mantel fester um sich. Sie schaute sich um, wie sie es jetzt immer tat, aber von Saskia war nichts zu sehen. Es war weit und breit niemand in der Nähe außer einem älteren Paar, das Hand in Hand vom Friedhof kam und sich leise unterhielt. Die Frau lächelte Ellen zu.
Seit der Sache mit dem Buch und der Blume hatte Ellen Saskia nur noch ein einziges Mal gesehen. Sie war mit Patrick und Jack einkaufen gegangen, und während die beiden sich stritten, welche Frühstücksflocken sie kaufen sollten, hatte Ellen aufgeschaut und Saskia mit einem leeren Einkaufswagen auf sie zukommen sehen. Ihre Blicke trafen sich, und Ellen hatte unwillkürlich gelächelt, weil sie im ersten Moment Deborah Vandenberg sah, eine Patientin mit chronischen Schmerzen, die gut auf ihre Behandlung ansprach, mit der sie plaudern und scherzen konnte, eine Frau,
Weitere Kostenlose Bücher