Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
erscheinen.
Patrick hörte aufmerksam zu. Als sie geendet hatte, sah er sie blinzelnd an, als würde er von der Sonne geblendet. Das machte ihn älter. Er hatte tiefe Furchen in den Augenwinkeln, wahrscheinlich von seiner Arbeit als Vermessungsingenieur unter freiem Himmel.
Dann sagte er: »Sie wird die Hochzeit also absagen? Deinetwegen?«
»Nun, ich weiß nicht genau, was sie vorhat. Das muss sie selbst entscheiden. Ich habe ihr lediglich dabei geholfen, sich über ihre wahren Gefühle klar zu werden.«
»Aber stell dir doch mal vor, wie der arme Kerl sich fühlen wird. Bist du sicher, sie hat nicht bloß kalte Füße gekriegt? Oder sucht nach einer Ausrede, warum sie sich das Rauchen nicht abgewöhnen kann?«
Ellen reagierte verschnupft. Sie hatte damit gerechnet, dass ihreGeschichte über die Möglichkeiten der Hypnotherapie Faszination und Bewunderung auslösen würde. Sie kratzte sich am Handgelenk. (Gereiztheit manifestierte sich bei ihr immer als Juckreiz an ihrem rechten Handgelenk, an exakt derselben Stelle, an der sie als Kind unter Dermatitis gelitten hatte.)
»Ich bringe meine Patienten nicht dazu, irgendetwas zu tun. Ich helfe ihnen dabei, unter Umgehung des kritischen Punkts unmittelbaren Zugang zu ihrem Unterbewusstsein zu erlangen. Meine Patientin hatte einen sogenannten Satori. Satori ist im Zen-Buddhismus das Wort für Erleuchtung.«
Ellen dachte an ihre Sitzung mit Rosie. Nachdem diese ihre Gefühle hinsichtlich ihrer bevorstehenden Hochzeit geäußert hatte, hatte Ellen ihr eine posthypnotische Anweisung gegeben: »Wenn Sie aus dieser Trance erwachen, werden Sie ruhig und gelassen sein, Sie werden alles unter Kontrolle haben, wenn Sie entscheiden, was Sie als Nächstes tun wollen.«
Als Rosie aus ihrem Trancezustand erwachte, hatte sie geblinzelt und dann sofort ihre Hand mit dem Verlobungsring gehoben. Sie hatte ihn vom Finger gestreift und im Licht neugierig betrachtet, als handle es sich um ein seltsames, widerwärtiges wissenschaftliches Exemplar. Nach ein paar Sekunden hatte sie lächelnd zu Ellen gesagt: »Wissen Sie was? Ich mag nicht einmal diesen Ring.«
»Entschuldige«, sagte Patrick. »Ich wollte dich nicht kritisieren. Ich habe mich wohl zu sehr mit dem Mann identifiziert.«
»Schon gut«, erwiderte Ellen.
Das war das erste Mal, dass der leiseste Hauch von Missstimmung in der Luft lag. Irgendwann musste das ja kommen, sagte sie sich. Kein Grund zur Beunruhigung.
»Ich habe einmal eine dieser Bühnenshows gesehen«, sagte Patrick. »Wo sie Leute aus dem Publikum auf die Bühne bitten, um sie zu hypnotisieren, weißt du. Ich muss zugeben – ich hoffe, dass ich dich nicht damit beleidige, aber ich gehe davon aus, dass die Hypnotiseure auf der Bühne mit richtigen Hypnotherapeutennicht das Geringste gemein haben – also, ehrlich gesagt, ich habe es gehasst.«
Ellen lächelte, als sie seinen schuldbewussten Gesichtsausdruck sah. »Das ist schon in Ordnung. Mit meiner Arbeit kann man das wirklich nicht vergleichen.«
»Dieser dämliche Ausdruck auf ihren Gesichtern! Grauenhaft!« Patrick demonstrierte ihr, was er meinte: Er ließ sich nach hinten fallen, die Arme schlaff herunterhängen und das Kinn auf die Brust sinken. Nach ein paar Sekunden setzte er sich wieder gerade hin und nahm einen Schluck Wein. »Es war erbärmlich. Als ob der Typ sie unter Drogen gesetzt hätte und mit ihnen machen konnte, was er wollte.«
»Das wäre ihm nicht gelungen. Sie hatten immer noch die Kontrolle über sich. Er hat nur dafür gesorgt, dass sie ihre Hemmungen ablegten.«
»Ich möchte immer alles im Griff haben«, sagte Patrick. »Deshalb habe ich auch nie übermäßig Alkohol getrunken, und ich habe nie Drogen genommen. Ich gebe das Steuer nicht gern aus der Hand, bildlich gesprochen.« Er nahm mit den Fingerspitzen eine weitere Olive aus der Schale und legte sie behutsam auf seinen Teller. Den Blick auf die Olive gerichtet, fuhr er fort: »Das hasse ich am meisten an dieser Geschichte mit Saskia. Dass sie die Kontrolle hat. Sie beeinflusst mein Leben, und ich habe nichts zu sagen, und ich kann nicht das Geringste dagegen tun. Es tut mir leid, wenn ich manchmal ein bisschen komisch reagiere, was sie betrifft. Aber wenn wir über sie reden, dann ist es, als wäre sie mit uns im selben Raum.«
Er sah sie mit dem gleichen flehentlichen, verzweifelten Ausdruck an wie die vielen Patienten, die zu ihr kamen, weil sie sich von ihr eine Antwort auf ihre Probleme erhofften, ohne im Grunde
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