Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
Mary-Kate, und Mary-Kate war sie.
Mmmm.
Ein herzliches Lächeln auf den Lippen, öffnete Ellen die Tür. »Mary-Kate! Wie schön, dass Sie gekommen sind!«
»O ja, ich bin sicher, das ist ein Grund zum Jubeln«, antwortete Mary-Kate mit sarkastischem Gesichtsausdruck.
Ellen fragte sich, ob sie sie etwa hatte fluchen hören.
Mary-Kate war wie üblich ganz in Schwarz gekleidet. Sie war eine plumpe, schwerfällige Frau mit langen, glatten, in der Mitte gescheitelten Haaren wie ein Blumenkind der Siebzigerjahre, aber das verkniffene Gesicht, das sie immer wie einen geprügelten Hund aussehen ließ, wollte nicht zum Blumenkinderlook passen.
Was für ein deprimierender Anblick, dachte Ellen. Sie hätte ihr so gern einen neuen Look verpasst, einen jugendlichen Haarschnitt mit mehr Fülle und Farbe statt des trostlosen Schwarz. Eigentlich hatte sie ein hübsches Gesicht. Schon ein Hauch Lippenstift würde genügen, ihr ein frischeres Aussehen zu verleihen.
Du meine Güte, jetzt verwandelte sie sich schon in eine dieser grässlichen Mütter!
»Möchten Sie zuerst zur Toilette?«
Ellen stellte ihren Patienten diese Frage immer als Erstes; nichts war einer erfolgreichen Sitzung abträglicher als eine volle Blase.
»Nein, danke«, erwiderte Mary-Kate. »Bringen wir’s hinter uns.«
Nachdem Mary-Kate in dem grünen Relaxsessel Platz genommen hatte – sie schaffte es stets, dass er wie der unbequemste Stuhl aller Zeiten wirkte –, schlug Ellen die Akte ihrer Patientin auf.
»Wie ist es Ihnen seit der letzten Sitzung ergangen?«, fragte sie.
»So wie immer. Ich fühle mich fett wie ein Wal. Und wie ist es Ihnen ergangen?«
Ellen warf ihr einen flüchtigen Blick zu. »Sie sorgen sich um Ihr Gewicht?«
»Nein, das heißt, ja, natürlich , aber egal.« Mary-Kate seufzte und gähnte. »Heute ist Freitag. Haben Sie schon Pläne fürs Wochenende, Ellen? Freunde besuchen? Die Familie?«
»Nein, ich hab nichts Besonderes vor. Geht es Ihnen ums Abnehmen? Hätten Sie gern, dass wir daran arbeiten?«
Mary-Kate war ursprünglich zu ihr gekommen, weil sie Panikattacken bekam, wenn sie durch den Hafentunnel von Sydney fahren musste, und dagegen wollte sie etwas unternehmen, bevor sie einer dieser »verrückten, labilen« Typen wurde. Sie hatte bisher kein Wort über ihr Gewicht verloren, aber so war das oft: Der wahre Grund, weshalb die Leute Ellens Hilfe suchten, stellte sich erst nach ein paar Sitzungen heraus.
»Vielleicht habe ich in einem früheren Leben in Irland gelebt, als wegen der Kartoffelfäule die Hungersnot herrschte«, sagte Mary-Kate, »und jetzt will ich das Versäumte nachholen. Deshalb habe ich so einen Heißhunger auf Kartoffeln.«
»Nun, die Hypnotherapie kann sehr hilfreich sein …«
»Ich glaube nicht an ein früheres Leben«, sagte Mary-Kate angriffslustig. »Das ist doch alles Schwachsinn!«
»Ich glaube, darüber haben wir schon in unserer letzten Sitzung gesprochen«, erwiderte Ellen sanft.
Sie mochte das Wort Schwachsinn ganz und gar nicht. Außerdem hatten sie sich bereits ausführlich über Mary-Kates Ansichten zu diesem Thema unterhalten.
»Sie führen die Leute also nicht in ihr früheres Leben zurück.«
»Ich biete nicht ausdrücklich Rückführungen an, aber ich habe schon Patienten gehabt, die glaubten, unter Hypnose in ein früheres Leben zurückgekehrt zu sein. Ich bin für alle Möglichkeiten offen.«
Mary-Kate schnaubte höhnisch.
»Sind Sie seit unserer letzten Sitzung noch einmal durch den Tunnel gefahren?«, fragte Ellen.
Mary-Kate zuckte die Achseln. »Ja. Und es hat mir nicht das Geringste ausgemacht. Ich glaube, ich bin darüber hinweg.«
Ellen sah sie prüfend an. »Und warum sind Sie dann heute hier? Was erwarten Sie von dieser Sitzung, Mary-Kate?«
Mary-Kate seufzte abermals. Sie schaute sich abschätzig imZimmer um, als befände sie sich in einer billigen Absteige, beugte sich vor, nahm ein Konfekt, zögerte und ließ es in die Schale zurückfallen.
Schließlich sagte sie: »Ich glaube, ich muss jetzt doch Ihre Toilette benutzen.«
Ich empfand es als Erleichterung, sie wiederzusehen.
Ich weiß nicht, wie es ihr geht, aber ich mag Ellen irgendwie. Ich meine, natürlich finde ich es zum Kotzen, dass es sie gibt, aber sie übt auch eine seltsame Faszination auf mich aus.
Es ist eine Art perverse Vernarrtheit. So, als ob man einen Mann kennenlernt, den man eigentlich abstoßend findet, aber man geht trotzdem mit ihm ins Bett, und obwohl der Sex fantastisch ist,
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