Alles außer Sex: Zwischen Caipirinha und Franzbranntwein (German Edition)
und mit einer tollen Feier, zu der wir alle unsere Freunde, Bekannten und Verwandten einladen! Wie sonst?« Bei den letzten Worten klingt meine Stimme plötzlich belegt.
Carsten zuckt mit den Schultern. Ein gutes Zeichen, was die Bandscheibe betrifft, ein schlechtes für meine Heiratspläne.
Es ist schon weit nach Mitternacht, als wir schweigsam Arm in Arm die Große Freiheit entlang laufen. »Große Freiheit« klingt in Anbetracht meines Verlobungsdilemmas ganz schön zynisch, denke ich bestürzt. Seit Monaten hatte ich diese Hamburg-Reise vorfreudig erwartet, in die ich meine ganzen romantischen Wünsche und Sehnsüchte gelegt hatte und die jetzt so disharmonisch endet. Tief in meinem Inneren hatte ich gehofft, nein, eigentlich hatte ich fest damit gerechnet, dass sich plötzlich auf der Musicalbühne ein Transparent mit der Aufschrift »TATI, WILLST DU MICH HEIRATEN?« entrollen würde. Dann hätte sich Carsten auf der Bühne vor mich gekniet, mir eine Rose überreicht und mir seine ewige Liebe gestanden. Auch in der kleinen Bar hätte ich noch jeden Antrag von ihm angenommen. Das wäre zwar nicht so spektakulär gewesen, aber immerhin.
Meine Toleranz gegenüber dem Antragsverweigerer hat sich in kühle Hamburger Nachtluft aufgelöst, und ich beschließe, nicht mehr so zu tun, als machte mir dieser verkackte Liebesausflug noch Freude. Schweigsam gehen wir ins Hotel, und ich verweigere mir zum Erhalt meiner üblen Laune jeden positiven Gedanken und jede verständnisvolle Sichtweise. Die Liebesnacht von Hamburg entwickelt sich zu meinem persönlichen Kampf, mit dem Schnorcheln des tief und zufrieden neben mir schlafenden Erdmännchens klarzukommen.
Mamma Mia
Am Tag nach unserer Rückkehr aus Hamburg bin ich melancholisch. Ich habe mir James Blunt, meinen Jammergefühls-Verstärker, in den CD-Spieler gelegt, um meine Verlobungsverweigerungs-Enttäuschung ausleben zu können. Von meinem Lieblingsplatz, dem Küchensofa, schaue ich Tee trinkend durch die Balkontür in den Hinterhof. Der wilde Hopfen, der sich an den Eisenträgern meines Balkons hochrankt, ist schon ganz braun geworden und glänzt feucht im Nieselregen. »Tears and Rain« – James Blunt singt von Kälte und Dunkelheit und von Trost, den er im Schmerz finden kann. Ich suhle mich wie er in meinem Selbstmitleid wie ein Wildschwein in einer Schlammkuhle und lasse mein trauriges Leben vor meinem inneren Auge ablaufen: meine aufopferungsvolle Pflegeleistung in den vergangenen Wochen, das schlechte Essen in dieser Zeit, die Falten im Gesicht und an den Knien, den hämischen Hinweis von Doro auf meine eventuellen Wechseljahrsbeschwerden, die boshafte Ablehnung meiner Bewerbung im »Stand-up-Club« und die auf mir lastende Verantwortung für meine Schwester. Es scheint, als habe nur noch Chica Interesse an mir, sonst niemand. Chica schnurrt und gurrt mich an, wühlt ihr Köpfchen in meine Hand und röchelt zustimmend.
Ich fühle mich vom Rest der Welt abgelehnt und alt. Uralt! Ich überlege: Wann ist es mir eigentlich zum ersten Mal aufgefallen, dass ich nicht mehr als jugendlicher Hüpfer durchgehe? War es, als ich mich blond färbte, weil Mama mir sagte, man sähe damit viel jünger aus? Oder hatte es mich schon geärgert, als ich vor Jahren feststellte, dass mir auf der Straße kein Typ mehr hinterherguckt, geschweige denn -pfeift. Das hatte mich als junges Mädchen zwar genervt, aber als es gar nicht mehr passierte, wurde ich stutzig. Natürlich könnte auch das erste graue Haar das auslösende Schock-Erlebnis gewesen sein. Ich erinnere mich, dass ich es im Bereich meines Ponys entdeckte, während ich für eine Fernsehsendung geschminkt wurde. Meine Maskenbildnerin Viola grinste, als sie meinen entsetzten Blick sah, griff zur Pinzette und riss das weiße, borstenähnliche Haar raus. Heute würde diese Verleugnungsmethode bei mir zu einer Stirnglatze führen.
Ich überlege weiter: Waren es die Veränderungen meines Stoffwechsels, die ein Zunehmen leicht, das Abnehmen aber ungleich schwerer machten als noch vor zehn Jahren, durch die ich mich alt fühlte? Oder war die Unterleibsoperation im vorletzten Sommer, in der eine Hälfte meiner Weiblichkeit entfernt worden war, der Beginn oder der Grund für meine Angst vor dem Altern? Oder meine plötzliche Lust auf Mittagsruhe oder die von ihren Männern verlassenen Freundinnen oder mein sensibel auf seelische Einflüsse reagierendes Immunsystem? Oder? Kann natürlich auch sein, dass mich die plötzliche
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