Alles Glück kommt nie
legte seine Jacke auf einen Schemel und verkündete den neuen Flächennutzungsplan: »Okay. Seid mal zwei Minuten still, man versteht ja sein eigenes Wort nicht. Du. Besorg mir mal ein Stück Kreide. Jetzt ist Schluss mit dem Durcheinander. Ihr bildet jetzt eine schöne Schlange, stellt euch hintereinander auf. Der Erste, der sich vordrängelt, wandert in die Mitte der Dosen, ist das klar? Danke.«
Er nahm die Kreide entgegen und zog zwei deutliche Linien, dann markierte er eine Stelle an einem Holzpfosten: »Das hier ist die Messlatte. Wer kleiner ist als der Strich hier, darf bis zur ersten Linie vortreten, die anderen stellen sich hinter die zweite, kapiert?«
Sie hatten kapiert.
»Weiter geht’s. Die Kleinen dürfen auf diese Dosen zielen«, er zeigte ihnen die größeren Exemplare, die der Koch ihnen zur Verfügung gestellt hatte und in denen gut zehn Kilo Mischgemüseoder geschälte Tomaten gewesen sein mussten, »die Großen zielen auf diese hier« (die Dosen waren kleiner, dafür waren es mehr). »Jeder hat vier Bälle, und für einen Gewinn muss das Brett natürlich komplett abgeräumt sein. Kommt ihr noch mit?«
Respektvolles Nicken.
»Und als Letztes. Ich werde nicht meinen ganzen Samstag damit zubringen, euer Zeug aufzusammeln, ich brauche also einen Assistenten. Wer will mein erster Assistent sein? Vergesst nicht, dass ein Assistent Freiwürfe bekommt.«
Sie prügelten sich darum, ihm zur Hand gehen zu dürfen. »Perfekt«, frohlockte General Balanda, »perfekt. Auf dass der Beste gewinne!«
Fortan brauchte er nur noch die Punkte zu zählen, die Kleinen anzufeuern und die Großen zu provozieren. Ersteren führte er den Arm, bei Letzteren tat er so, als wollte er ihnen die Brille reichen, wenn sie hocharrogant antraten, pff! Dosenwerfen, total easy, und häufiger als nötig die Wand trafen.
Ziemlich rasch war der Andrang sehr groß, Lautstärke verpflichtet, und Charles sagte sich, dass er vielleicht zwar seine Haut und seine Ehre gerettet hatte, am Ende des Tages aber taub sein würde.
Seine Ehre allerdings ... Von Zeit zu Zeit hob er den Kopf und suchte sie. Hätte sich gewünscht, dass sie ihn so sah, triumphierend umgeben von seiner Armee an Scharfschützen. Fehlanzeige. Sie stand immer noch umgeben von ihren Cakes, schwätzte, lachte, beugte sich zu Kohorten von Kindern hinunter, die ihr ein Küsschen geben wollten und ... hatte genau genommen nichts am Hut. Mit ihm, das war in seinem Gehirn angekommen.
Wenn überhaupt noch etwas in seinem Gehirn ankam.
Egal. Er war glücklich. Liebte es, neue Projekte zu leiten, und Aluminiumgebäude verwalten, tja, das tat er zum allerersten Mal.
Jean Prouvé wäre stolz auf ihn.
Natürlich kam niemand vorbei, um ihn abzulösen, natürlich musste er mal und hatte Lust auf eine Zigarette, und natürlich hielt er sich irgendwann nicht mehr an die blauen Märkchen.
»Hast du keins mehr?«
»Nee.«
»Macht nichts. Du kannst trotzdem werfen, los.«
Ohne Märkchen? Die Info machte so schnell die Runde, dass er auf derlei Anwandlungen alsbald verzichten musste. So war er der König der Konservendosen, fügte sich in sein Schicksal und bedauerte zum ersten Mal seit Jahren, dass er sein Skizzenbuch nicht zur Hand hatte. Hier gab es einige lächelnde Gesichter, Prahlhänse, irre Gestalten, die ein bisschen Ewigkeit verdient hätten.
Lucas war soeben zu ihm gekommen: »Ich habe Papa meinen Papagei gegeben.«
»Gut so.«
»Das ist gar kein Papagei. Das ist eine weiße Taube.«
So, so. Yacine war also auch da.
Er wurde von der Tombola erlöst. Die Ziehung der Gewinne wurde angekündigt, und alle Kinder verzogen sich wie durch Zauberschlag. Undankbare Bälger, dachte er und seufzte erleichtert. Überantwortete den Jungen seine Kontrollabschnitte, sammelte die Socken zusammen, die überall herumlagen, packte alle Dosen in eine Jutetasche und las unzählige Bonbonpapiere auf, wobei er jedes Mal, wenn er sich bückte, das Gesicht verzog.
Sich an die Seite fasste.
Warum tat es so weh?
Warum?
Nahm seine Jacke und suchte sich eine Stelle, an der er rauchen konnte, ohne von einem Aufseher erwischt zu werden.
Machte zuerst einen kleinen Umweg zu den Toiletten und war ziemlich – gehandicapt. Die Schüsseln hingen irre tief. Er zielte, so gut er konnte, und fand den Geruch von guter alter Kernseife wieder, die nicht schäumte und an dem verchromten Messinghalter langsam schrumpfte.
Die gute alte Zeit. Er versteckte sich hinter dem
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