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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Mann.«
    Was wären wir ohne Sitzordnung?
    Claire sah mich an. Sie wusste, dass ein Mann fehlte. Ich lächelte ihr zu, und sie zuckte trotzig mit den Schultern, um mein Mitgefühl zu vertreiben, das ihr nicht gefiel.
    Unsere Blicke waren trotzdem mehr wert als er ...
    Ohne abzuwarten, schnappte sie sich den Stuhl, der vor ihr stand, faltete die Serviette auseinander und rief unseren Lieblingslebensmittelhändler zu sich: »Los, komm her, Guitou! Setz dich zu mir und erklär mir noch mal, was ich für meine drei Treuepunkte bekomme.«
    Meine Mutter seufzte und streckte die Waffen: »Ach, setzt euch doch, wie ihr wollt ...«
    Was für eine Begabung, dachte ich.
     
    Was für eine Begabung ...
    Doch die Intelligenz dieser fantastischen Frau, die fähig war, innerhalb von zwei Sekunden eine Tischordnung zu sabotieren, ein Familientreffen erträglich zu gestalten, ein paar blasierte Kinder auf Trab zu bringen, ohne sie zu demütigen, dieZuneigung einer Frau wie Laurence zu gewinnen (überflüssig hinzuzufügen, dass es mit den beiden anderen nie gefunkt hatte, was mich übrigens immer gefreut hat) und von ihren Kollegen respektiert zu werden, man nannte sie in exklusiven Kanzleien hinter vorgehaltener Hand Marschallin Vauban (»Gnade dem Gegner, wenn sie ihr Augenmerk auf ein Stadtviertel geworfen hat«, stand in einer seriösen Zeitschrift über Stadtplanung), das alles, ihre Raffinesse, ihr gesunder Menschenverstand, hörte jedoch in der unmittelbaren Umgebung ihres Herzens abrupt auf.
    Der Mann, der uns heute Abend und schon seit Jahren fehlte, existierte sehr wohl. Er musste allerdings bei seiner Familie Präsenz zeigen. Bei seiner Frau (»bei Mama«, wie sie mit einem etwas zu säuerlichen Lächeln sagte, als dass es ehrlich hätte sein können, und mit Blick auf ihren Serviettenring.)
    Heroisch.
    Und hielt sich in ihren Hausschuhen kerzengerade.
     
    Dabei hätte er uns beinahe entzweit, der fette Arsch ... »Nein, Charles, das kannst du nicht sagen. Fett ist er nicht.« Das war die Art Antwort, mit der sie damals parierte, wenn ich wieder mal einen auf Don Quijote machte und versuchte, gegen verbale Windmühlen zu kämpfen. Inzwischen habe ich es aufgegeben, ich habe es aufgegeben. Ein Mann, auch ein schlanker, der es fertigbringt, zu einer Frau wie ihr allen Ernstes und ohne zu grinsen zu sagen: »Hab Geduld, ich gehe, wenn meine Töchter groß sind«, ist nicht das Heu wert für die gute alte Rosinante.
    Soll er krepieren.
    »Warum bleibst du nur bei ihm?«, habe ich sie in allen Tonarten bearbeitet.
    »Ich weiß es nicht. Weil er mich nicht will, nehme ich an ...« Und das ist alles, was ihr als Plädoyer einfällt. Ja, ihr – unserer hübschen Boje, und dem Schrecken des Justizpalastes ... Zum Verzweifeln.
    Aber ich habe es aufgegeben. Aus Erschöpfung und Ehrlichkeit, ich, der ich unfähig bin, vor meiner eigenen Tür zu kehren.
    Mein Arm ist zu kurz, als dass ich einen guten Staatsanwalt abgeben würde.
    Und außerdem lauern darunter Kapitulationen, Grauzonen und viel zu rutschiges Gelände, auch für die verwandte Seele eines Bruders wie mir. Darum sprechen wir nicht mehr darüber. Und sie macht ihr Handy aus. Und zieht die Schultern hoch. Und c’est la vie. Und sie lacht. Und sie zieht sich den Champion rein, um auf andere Gedanken zu kommen.
     
    Die Fortsetzung lässt sich nicht erzählen. Sie ist uns nur allzu vertraut.
    Das Festmahl. Das samstägliche Abendessen bei wohlerzogenen Leuten, von denen jeder tapfer seine Partitur spielt. Die Hochzeitsagentur, die grässlichen Messerbänkchen in Dackelform, das umgekippte Rotweinglas, das Kilo Salz, das auf die Tischdecke geschüttet wird, die Debatten über die Fernsehdebatten, die 35-Stunden-Woche, Frankreich, das den Bach runtergeht, die Steuern, die man zahlt, und die Radarkontrolle, die man nicht bemerkt hat, der Böse, der behauptet, die Araber bekämen zu viele Kinder, und die Nette, die erwidert, dass man nicht verallgemeinern dürfe, die Dame des Hauses, die behauptet, das Fleisch sei zu lange im Ofen gewesen, und die nur will, dass man ihr widerspricht, und der Patriarch, der sich fragt, ob der Wein richtig temperiert ist.
    Okay, das erspare ich Ihnen. Das kennen Sie in- und auswendig, diesen herzlichen und immer etwas deprimierenden Mikrokosmos, den man Familie nennt und der einen von Zeit zu Zeit daran erinnert, wie kurz er eigentlich ist, der zurückgelegte Weg...
    Das Einzige, was es zu retten gilt, ist das Lachen der Kinder im Obergeschoss,

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