Alles Glück kommt nie
Und außerdem – ich arbeitete viel und war auch oft weg. Also zog ich den Schwanz ein und legte mir für meinen Stolz Geschichten zurecht, um ihn auszutricksen.
Das gelang mir übrigens recht gut. Ich glaube sogar, dass ihre – Eskapaden häufig geeigneter Brennstoff waren für das, was wir für unsere Ehe hielten. Unsere Kopfkissen waren jedenfalls begeistert.
Sie verführte und umschlang die Männer, wurde ihrer überdrüssig und kehrte zu mir zurück.
Kehrte zu mir zurück und unterhielt sich im Dunkeln mit mir. Schlug die Decke zurück, richtete sich ein wenig auf, streichelte mir den Rücken, die Schultern, das Gesicht, lange, ausgiebig, zärtlich, und flüsterte am Ende Sätze wie: »Du bist der Beste, weißt du ...« Oder: »So einen wie dich gibt’s nicht noch mal ...« Ich schwieg, rührte mich nicht, versuchte die Wege ihrer Hände nicht zu behindern.
Denn obwohl es meine Haut war, kam es mir in diesen Nächten des Rückzugs oft so vor, als wären es ihre Narben, die sie zu glätten und zu mildern suchte, indem sie sie ganz vorsichtig massierte.
Aber das ist längst Geschichte. Heute vertraut sie ihre Schlafstörungen der Homöopathie an und lässt mich nicht einmal im Dunkeln sehen, was unter ihrem Panzer pocht und auseinanderbricht.
Wer daran schuld ist? Mathilde, die zu groß geworden und wie Alice im Wunderland aus ihrem Häuschen herausgewachsen ist und es gesprengt hat? Der ich nicht mehr in die Steigbügel helfen muss und die bald besser Englisch sprechen wird als ich.
Oder die Vernachlässigung durch ihren Vater, die früher wie ein Verbrechen wirkte und mit den Jahren fast witzig wurde? Ironie ist an die Stelle der Bitterkeit getreten, umso besser, aber ich schneide im Vergleich weniger gut ab. Auch wenn ich mich nie bei den Ferienterminen irre.
Oder die Zeit, die ihren Job nicht gut macht? Ich war damals noch jung, ich war etwas jünger als sie, ich war sogar ihr »Bübchen«. Aber ich habe sie eingeholt. Habe sie überholt, glaube ich.
An manchen Tagen fühle ich mich alt.
So alt ...
Oder dieser barbarische Job, bei dem man immerzu kämpfen muss, überzeugen und wieder kämpfen? Wo nie etwas sicher ist und man mit fast fünfzig den Eindruck hat, immer noch der verängstigte Student zu sein, der, mit Koffein gedopt, jedem, der es hören will, vorjammert: »Ich bin nicht im Zeitplan, ich bin nicht im Zeitplan.« Und der sich in seinen Längsschnitten verheddert hat, als er den x-ten Entwurf einer x-ten Jury präsentieren sollte, mit dem einzigen Unterschied, dass das Damoklesschwert mit den Jahren sehr viel schärfer geworden war.
Ach ja. Es geht nicht mehr um Noten oder darum, in die nächste Klasse versetzt zu werden, sondern um Geld. Um sehr viel Geld. Um Geld, Macht und auch Größenwahn.
Ganz zu schweigen vom politischen Aspekt. Nein, davon ganz zu schweigen.
Oder vielleicht die Liebe? Ihr ...
»Und du, Charles? Was sagst du dazu?«
»Wie bitte?«
»Zum Musée des Arts premiers?«
»Oje! Es ist lange her, dass ich da war. Ich habe mir zwar mehrmals die Baustelle angesehen, aber –«
»Jedenfalls«, fährt meine Schwester Françoise fort, »wenn man mal muss, dann gute Nacht. Ich weiß nicht mehr, was uns das Ding gekostet hat, aber an den Toilettenschildern haben sie gespart, das kann ich euch sagen!«
Ich konnte es mir nicht verkneifen, mir vorzustellen, was für ein Gesicht Nouvel und seine Truppe machen würden, wenn sie heute Abend hier wären.
»Ach was! Das ist Absicht«, ergreift ihr Spaßvogel von Ehemann das Wort, »glaubst du denn, die Primitiven hätten sich geniert mit ihrem Lendenschurz? Ein kleiner Busch, und runter mit dem Ding!«
Nein, nein. Es war schon besser, dass sie nicht da waren. »Zweihundertfünfunddreißig Millionen«, wirft der andere ein, der Nichtspaßvogel, und klammert sich an seine Serviette.
Und da die Versammlung nicht schnell genug reagiert, setzt er nach: »Euro natürlich. Das Ding, wie du so schön sagst, meine liebe Françoise, hätte den französischen Steuerzahler die Kleinigkeit von ... (er holt seine Brille heraus, sein Handy, tippt darauf herum und schließt die Augen) ... einer Milliarde fünfhundertvierzig Millionen Franc gekostet.«
»Alte?«, fragt meine Mutter und verschluckt sich fast. »Nein, nein«, erwidert er und schwillt vor Freude an, »neue!« Er frohlockt. Diesmal klappt’s. Die Runde beißt an. Es geht drunter und drüber.
Ich suche Laurence’ Blick, die mir ein gequältes Lächeln zuwirft. Solche
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