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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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meine Akte noch nicht wasserdicht. Aber. Willst du mir damit was sagen?«
    »Euch allen –«
    »Hast du eins auf den Kopf gekriegt?«
    »Ja. Sekunde, ich zeig’s dir.«
     
    Verdattert legte Claire ihr Handy auf den Stapel mit unangenehmen Dingen. Es vibrierte noch einmal. Sie sah das bunte Gesicht ihres Bruders auf dem Display und gluckste ein letztes Mal, bevor sie zu ihren Kläranlagen zurückkehrte.
    Alexis in Flip-Flops und Schürze vor seinem Gasgrill. Klasse war das. Und ihr Bruder, der heute Abend so fröhlich klang.
    Er hatte seine Anouk also wiedergefunden, so täuschte sie sich mit einem etwas melancholischen Lächeln.
     
    *
     
    Melancholisch? Das Wort war zu schwach. Bei ihrer Rückkehr heute Morgen wusste Kate, dass sein Auto nicht mehr da wäre, trotzdem konnte sie nicht anders, als danach Ausschau zu halten.
    Sie schleppte sich durch den Tag. Kehrte ohne ihn an alle Orte zurück, die sie ihm gezeigt hatte. In die Scheunen, den Hühnerstall, den Pferdestall, den Gemüsegarten, auf den Hügel, zum Fluss, in die Laube, auf die Bank, auf der sie zwischen Salbeipflanzen ihr Frühstück eingenommen hatten, und ... Alles war entvölkert.
     
    Sie wiederholte den Kindern gegenüber mehrmals, dass sie müde sei.
    Dass sie noch nie so müde gewesen sei.
    Kochte viel, um in der Küche bleiben zu können, in der sie und Charles einen Teil der Nacht mit Ellen zugebracht hatten.
    Zum ersten Mal seit vielen Jahren flößte ihr die Aussicht auf die Sommerferien große Angst ein. Zwei Monate hier, mit den Kindern allein. Mein Gott ...
    »Was hast du denn?«, fragte Yacine.
    »Ich fühle mich alt.«
    Sie saß auf dem Boden, hatte sich an den Herd gelehnt, den Kopf des Großen Hundes auf dem Schoß.
    »Aber du bist doch gar nicht alt! Es dauert noch ganz lange, bis du sechsundzwanzig wirst.«
    »Du hast recht«, lachte sie, »superlange sogar!«
     
    Sie stand ihren Mann, bis zu den letzten Flügen der Schwalben, war aber schon im Bett, als Charles Mathilde im Flur traf.
    »Huch!«, sie fuhr zusammen, »woraus hat die Tür denn bestanden?« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen: Hm, wohin soll ich denn zielen für einen Kuss?
    Er folgte ihr und sank auf ihr Bett, während sie packte und ihm von ihrem Wochenende erzählte.
    »Was soll ich auflegen?«
    »Irgendwas Cooles.«
    »Doch aber keinen Jazz, oder?«, fragte sie entsetzt.
     
    Sie zählte ihre Socken, als er sie fragte: »Warum hast du eigentlich mit Reiten aufgehört?«
    »Warum fragst du?«
    »Weil ich zwei herrliche Tage, umgeben von Kindern und Pferden, verbracht habe und dabei unaufhörlich an dich denken musste.«
    »Ist das wahr?«
    »Die ganze Zeit. Jede Minute habe ich mich gefragt, warum ich dich nicht mitgenommen habe.«
    »Keine Ahnung. Weil es so weit weg war. Weil –«
    »Weil was?«
    »Weil du die ganze Zeit Angst hattest.«
    »Vor den Pferden?«
    »Nicht nur. Dass ich stürze. Dass ich verliere. Dass ich mir weh tue. Dass mir zu kalt oder zu heiß ist. Dass unterwegs ein Stau sein könnte. Dass Mama auf uns warten muss. Dass ich nicht genug Zeit für meine Hausaufgaben habe. Dass ... Ich hatte das Gefühl, dir die Wochenenden zu verderben.«
    »Oh?«, entfuhr es ihm.
    »Nein, aber das war es nicht allein.«
    »Was war es noch?«
    »Keine Ahnung. So, jetzt müsstest du mir mal mein Bett überlassen ...«
     
    Er schloss die Tür hinter sich und hatte den Eindruck, aus dem Paradies vertrieben worden zu sein.
    Die anderen Zimmer der Wohnung schüchterten ihn ein.
    Komm schon, sprach er sich Mut zu, was sind das für Mätzchen? Du bist doch bei dir zu Hause! Du wohnst seit Jahren hier! Es sind deine Möbel, deine Bücher, deine Klamotten, deine Ratenzahlungen ... Come on ,Tscharls.
    Komm zurück.
     
    Er ging ins Wohnzimmer, lief dort im Kreis, kochte sich einen Kaffee, machte hinter sich sauber, blätterte Zeitschriften durch, nahm nicht einmal die Bilder wahr, warf einen Blick auf seine Bibliothek, fand sie zu aufgeräumt, suchte nach einer CD, wusste jedoch nicht, nach welcher, spülte seine Tasse, trocknete sie ab, stellte sie zurück, machte wieder hinter sich sauber, zog einen Hocker heran, fasste sich an die Seite, beschloss, seine Schuhe zu putzen, ging in die Diele, kauerte sich zusammen, verzog das Gesicht, machte ein Schränkchen auf und putzte alle seine Schuhe.
    Er warf die Kissen zu Boden, knipste eine Lampe an, stellte seine Aktentasche auf den Couchtisch, suchte seine Brille, holte Unterlagen heraus, nahm die Bilder wahr, ohne sich

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