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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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dieselbe Frage, die er Mathilde gestellt hatte.
    Charles verstand sein Zögern besser als jeder andere. Sam befand sich in exakt der gleichen Situation wie er.

 
     
     
     
     
    Auf die nächste Seite hat sich ein Foto geschmuggelt. Er hatte es lange nach seiner Rückkehr ausgedruckt und wochenlang auf seinem Schreibtisch liegen lassen, bevor er beschloss, es dorthin zu räumen.
     
    Übergabe nach Abschluss der Bauarbeiten.
    Übergabe, sonst nichts.
     
    Granny hatte es gemacht, und es war abenteuerlich gewesen, ihr zu erklären, dass man nur einen einzigen Knopf drückt und sich um nichts weiter kümmert. Poor Granny hatte keine Ahnung von digitalen Hybriden.
    Sie sind alle versammelt. In der Tür zu Nedras Haus. Kate, Charles, die Kinder, die Hunde, Kapitän Haddock und das ganze Geflügel.
    Alle lächelnd, alle hübsch, alle an der zitternden Hand einer älteren Dame hängend, die vor ihnen die große Nummer der alternden Diva abzog, aber alle voller Vertrauen.
    Sie kannten sie schon lange. Am Ende würde sie ihr Ziel erreichen.
     
    Alice hatte die Dekoration übernommen (gestern hatte sie ihre Bücher geholt und ihn mit den wundersamen Figuren von Jephan de Villiers vertraut gemacht. Genau das war es, was Charles an diesen Kindern so schätzte. Ihre Art, ihn immer wieder in fremdes Gebiet zu führen. Ob es um Samuels Dressurprinzipien ging, Alice’ Talent, Harriets zornigen Humor oder Yacines fünfzig Anekdoten pro Minute. Ansonsten waren sie so, wie es sich gehörte, anstrengend, fordernd, respektlos, schadenfroh, undiszipliniert, stinkfaul, gerissen und streitsüchtig, hatten aber etwas, was anderen Kindern fehlte.
    Eine Freiheit, eine Liebenswürdigkeit, eine geistige Lebendigkeit (auch einen Mut, denn man konnte sehen, wie sie alle Arbeiten, die dieser riesige Hof ihnen abverlangte, ohne zu murren oder zu klagen, akzeptierten), eine Lebensfreude und eine Art Vertrautheit mit dieser Welt, die ihn faszinierte.
    Er dachte an eine Bemerkung von Alexis’ Frau: »diese kleinen Mormonen«, war aber ganz und gar nicht ihrer Meinung. Zum einen hatte er gesehen, wie sie sich wie Tiere um verschiedene Spielkonsolen prügelten, Nachmittage mit Chatten zubrachten, ihren Blogs den letzten Schliff verpassten und das Beste von YouTube auseinandernahmen (sie hatten ihn gezwungen, sich alle Episoden von »Avez-vous déjà vu?« anzuschauen) (was er im Übrigen nicht bereute, er hatte selten so herzlich gelacht), aber vor allem hatte er überhaupt nicht das Gefühl, dass sie sich hinter ihrer Brücke verschanzt hatten.
    Das Gegenteil war der Fall. Alles, was irgend Leben in sich spürte, kam zu ihnen. Um sich mit ihrer Fröhlichkeit, ihrer Tapferkeit, ihrer– Aristokratie zu umgeben. Ihre Höfe, ihr Tisch, ihre Wiesen, ihre Matratzen waren ein ständiges Besuchsziel und zogen jeden Tag neue Gesichter an.
    Der Kassenbon des letzten Großeinkaufs war über einen Meter lang (er selbst hatte sich dieser Aufgabe angenommen, daher das ungewöhnliche Ausmaß, anscheinend hatte er sich wie ein Pariser im Urlaub angestellt), und zu Stoßzeiten war der Strand übervölkert.
    Was sie von anderen unterschied? Kate.
    Und dass diese Frau, die so wenig Selbstsicherheit besaß und die, wie sie ihm anvertraut hatte, jeden Winter in eine Art Depression verfiel, die Tage dauern konnte, in denen sie rein körperlich unfähig war aufzustehen, diesen Waisenkindern ohne Vater, ohne Mutter, wie sie es in allen Formularen ankreuzen musste, so viel Selbstvertrauen geben konnte, war für ihn – ein einziges Wunder.
    »Kommen Sie Mitte Dezember wieder«, lachte sie, um den Schwärmer zu ernüchtern, »dann haben wir fünf Grad im Salon, müssen jeden Morgen für die Hühner die Eisschicht auf dem Wasser kaputtschlagen und essen zu allen Mahlzeiten Porridge, weil ich zu nichts mehr Energie habe. Und wenn Weihnachten näher rückt, die ses herrliche Fest der Familie, deren ganzen Stammbaum ich allein vertrete, dann sprechen wir uns wieder über Ihr Wunder.) «
    (Aber ein andermal, nach einem besonders deprimierenden Abendessen, bei dem unsere vier Planetenspezialisten eine alarmierende, mit Zahlen versehene unwiderlegbare Bilanz gezogen hatten, dass – na ja, das wissen wir ja alles – da hatte sie ihr Herz ausgeschüttet: »Dieses eigenwillige, vielleicht auch diskriminierende Leben, das ich den Kindern auferlege, ist das Einzige, was ich mir heute zugute halte. Heute gehört die Welt den Krämerseelen, aber morgen? Ich denke oft, dass nur die

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