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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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das Plätschern der Vergangenheit, der ganze Treibsand. Zack. Elemente gelöscht. Er hatte vom Chaos seiner Baustelle die Nase gestrichen voll und würde später zu seinem Leben zurückkehren.
    Sorry, aber dafür hatte er jetzt keine Zeit.
     
    Und Balanda, der Tiefbauingenieur, Master of Science , Absolvent der Architekturhochschule Belleville, staatlich geprüft, Mitglied der Architektenkammer, das Arbeitstier, der Preisgekrönte, der Medailleninhaber, was immer man wollte. Ja, was immer Sie wollen, was immer man noch auf eine Visitenkarte drucken kann, wenn man die Nase gestrichen voll hat, warf den anderen, den Wankelmütigen, raus.
    Aaah, jetzt fühlte er sich besser.
     
    Jeder hatte ihm schon mal vorgeworfen, dass er seine Arbeit so wichtig nahm. Seine Verlobten, seine Familie, seine Kollegen, seine Mitarbeiter, seine Kunden, die Putzfrauen, die nachts ihrer Arbeit nachgingen, und einmal auch ein Arzt. Die Wohlwollenden nannten ihn gewissenhaft, die anderen fleißig oder, schlimmer noch, Workaholic, Streber, und er hatte sich nie wirklich zu verteidigen gewusst.
    Warum arbeitete er seit so vielen Jahren so viel?
    Was hatten all die durchgemachten Nächte für einen Sinn? Dieses Leben zu einem Hundertstel? Diese Ehe, deren Fundament so wackelig war? Dieser leicht steife Nacken? Dieses Bedürfnis, Mauern zu errichten?
    Diese Kraftprobe, die er von vornherein verloren hatte?
    Dass ... Nein, er wusste nicht, wie er sich hätte rechtfertigen können, damit man ihm verzieh. Hatte nie das Bedürfnis verspürt, die Dinge beim Namen zu nennen. Jetzt war es so weit.
    Als er sich am Morgen aufgerichtet, seinen Pass herausgeholt und sich wieder einmal über das Gewicht seines Gepäcks gewundert hatte, als die Lautsprecherdurchsage erklang: Reisende des Flugs Air France AF 1644, vorgesehene Abflugzeit um sieben Uhr zehn mit Ziel Moskau Scheremétjewo, werden gebeten, sich zum Gate 16 zu begeben , hatte er die Antwort gefunden: Er wollte atmen.
    Atmen.
     
    Die letzten Stunden, das wenige, was bisher passiert ist, der vorausgegangene Abgrund könnten, wie soll man sagen – hinsichtlich der Zuverlässigkeit dieser prompten Antwort Zweifel aufkommen lassen, aber okay. Im Zweifel für den Angeklagten, ausnahmsweise.
    Lassen wir ihn bis zum Gate 16 atmen.

8
    Das Flugzeug bewegte sich mit 900 Stundenkilometern vorwärts. Kaum hatte er seinen Laptop hochgefahren, sprach der Flugkapitän von zwei Grad am Boden, wünschte allen einen angenehmen Aufenthalt und fuhr mit dem üblichen Geschwafel des SkyTeam Alliance fort.
     
    Er fand Viktor, seinen Fahrer mit dem sanften Lächeln (ein Loch, ein Zahn, ein Loch, noch zwei), der, wie er nach zig Stunden im Stau verstanden zu haben glaubte (in keinem Land der Welt hatte Charles so viel Zeit auf dem Rücksitz eines Wagens verbracht. Zuerst ratlos, dann unruhig, dann genervt, dann wahnsinnig, dann resigniert. Ach! Das war er also, der legendäre russische Fatalismus? Zusehen, wie sich Gutwilligkeit in einer beschlagenen Scheibe in diesem kolossalen Chaos um sie herum auflöste?), in einem anderen Leben Tontechniker war.
    Er war sehr gesprächig, erzählte herrliche Geschichten, von denen sein Fahrgast nichts verstand, und rauchte dabei Zigaretten, die schrecklich stanken und die er aus entzückenden Schachteln zog.
    Und als Charles’ Handy piepte, als sich sein Kunde von neuem gegen ihn auflehnte, beeilte er sich, die Musik voll aufzudrehen. Aus Diskretion. Keine Balalaika, kein Schostakowitsch, nein, lokaler Rock, seine Art von Musik. Mit ziemlich schrillen Rückkoppelungen.
    Hilfe.
    Eines Abends hatte er sein Hemd hochgezogen, um ihm zu zeigen, wie sein Leben verlaufen war. Alle Etappen waren hier zuckend zu bewundern: fein säuberlich eintätowiert. Er hatte die Arme zur Seite gestreckt und sich vor einer Zapfsäuleund Charles’ aufgerissenen Augen wie eine Ballerina gedreht.
    Es war – irre.
     
    Er traf seine französischen Kollegen wieder, seine deutschen, seine russischen. Ließ mehrere Meetings über sich ergehen, ebenso viele Seufzer, gleichgültige Fratzen, sinnlose Korinthenkackerei, ein zu langes Mittagessen, setzte erneut seinen Helm auf und zog die Stiefel an. Es wurde viel auf ihn eingeredet, das Gerede brachte ihn durcheinander, man klopfte ihm auf den Rücken, und er amüsierte sich schließlich mit den Jungs aus Hamburg. (Die gekommen waren, um die Klimaanlage einzubauen.) (Nur wo?)
    Am Ende lachten sie darüber. Die Fäuste in die Hüften gestemmt, die Augen

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