Alles hat seine Zeit
behaupten, der Schuss sei aus Unaufmerksamkeit losgegangen (aber es war naiv zu hoffen, dadurch irgendjemanden zu überzeugen); es blieb mir immer noch, meine Krankheit zu leugnen, aber zu hoffen, dass es mir gelänge, war geradezu albern. Also: alles zu Ende, oder Fahnenflucht.
Ich hatte ein paar Stunden Zeit. Die Carabinieri würden nicht auf Anhieb in unser Lager kommen, sie würden unter den Offizieren suchen, die im Etappenkommando zu Gast waren, sie würden die Lastautos anhalten. Es gab noch andere Truppenteile in der Nähe. Wenn ich eine Nacht Vorsprung hätte, könnte meine Flucht gelingen. Ich würde das Lager nach dem Abendessen verlassen, wenn es niemandem in den Sinn käme, mich zu suchen, oder meine Abwesenheit könnte bis zum frühen Morgen gerechtfertigt werden. Aber wohin sollte ich gehen?«Trotzdem», sagte ich mir,«ich muss fliehen.»
Diese Worte trafen mich, als wären sie von einem anderen gesagt worden, und nochmals musste ich mich hinsetzen, gänzlich zerschlagen. Nun, der Plan Mariams begann sich in seiner ganzen Hinterhältigkeit zu offenbaren. Sie wollte mich«isolieren», noch mehr, als ich es schon war.«Es wird ein Rundschreiben vom Kommando geben», dachte ich. Mich isolieren und mich«ihr»wegnehmen. Vom Zorn überwältigt, ballte ich die Fäuste gegen das Tal hin, das ich in der Ferne erahnte, unterhalb der kargen Berge, die sich vom violetten Himmel abzeichneten, und ich verfluchte Mariam.
Flucht also. Ich mied die Straße und erreichte das Lager; ich packte den Tornister, legte eine
Decke dazu, und als ich mich, um jeglichen Verdacht zu zerstreuen, zum Abendessen begab, verkündete mir der Hauptmann, dass ich den Urlaub erhalten hätte. Und die Freunde beglückwünschten mich, wenn auch schweren Herzens.
FÜNFTES KAPITEL
Die Schraubenmutter und die Schraube
1
Am Tag darauf war ich in Massaua 11 . Der Dampfer sollte mitten in der Nacht abfahren; er war am Hauptkai vertäut, und ich sah seinen Namen frisch gemalt in weißen Buchstaben.«Vielleicht gelingt es mir», dachte ich. Ich musste mich einschiffen, aber vor allem durfte ich mich nicht festnehmen lassen. Diesen Satz sagte ich mehrmals zu mir selbst.
War es möglich, bei dieser Hitze etwas zu begreifen, ohne es sich zuerst mehrere Male vorzusagen? Eine leere Apathie ergriff Besitz von mir, und ich stand über eine Stunde lang dort und dachte über die traurige Lage nach, in die ich mich gebracht hatte. Der Urlaub war eine Falle. Sie würden mich an Bord festnehmen oder bei der Landung in Neapel. Aber ich musste mich trotzdem einschiffen und verstecken und für die Komplizenschaft einiger Besatzungsmitglieder bezahlen. Ich musste nach Neapel.
Sich nicht festnehmen lassen. Ich dachte zurück
an mein Fortgehen aus dem Lager, in der Nacht, an mein Verweilen vor der Baracke des Doktors. Dort in seinem Eukalyptuswäldchen lag der Doktor schlafend auf dem Feldbett, die Zeitungen am Boden verstreut und die Kaffeemaschine auf dem Tisch. Vielleicht hatte er die Pistole unter seinem Kissen, und vielleicht lag er auch wach und dachte an mich. Ganz bestimmt, er dachte an mich. Voller Mitleid, aber auch entrüstet über meinen Versuch, ihn umzubringen. Und er würde nie erfahren, dass ich über eine Stunde lang ein paar Schritte von ihm entfernt gestanden hatte und versucht war, ihn wirklich umzubringen. Aber was für einen Vorteil hätte ich davon gehabt? Nachdem er die Anzeige erstattet hatte, war er von keinerlei Bedeutung mehr, er hatte sich gerettet. Wenn ich ihn getötet hätte, wäre es eine alberne Rache gewesen; weitere Anschuldigungen, und die Zahl der Komplizen wäre immer kleiner geworden. Und doch hatte ich gezögert, mich zu entfernen, denn ich dachte:«Sollte seine Faulheit so groß gewesen sein und ihn dazu verführt haben, die Anzeige auf morgen zu verschieben?»Nein, ich durfte mich nicht derartig täuschen über die Faulheit eines Arztes.«Nun also», hatte ich gesagt,«er soll in Frieden schlafen, dieser Doktor-Freund, der seinen Kopf so zur Unzeit bewegt.»
In der Morgendämmerung hatte ich ein Lastauto angehalten, nachdem ich die ganze Nacht querfeldein gelaufen war. Und nach einigen Stunden hatte ich den warmen und salzigen Hauch des Meeres gespürt.«Ist es das Meer?»
«Ja, es ist das Meer», hatte der Fahrer geantwortet. Alle meine unsinnigen Hoffnungen waren wieder erwacht, und ich war leise vor mich hin singend in Massaua angekommen. Jetzt dampfte die Stadt, und das Schiff lag bereit, mit seinem frisch
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